Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
versuchen wollte, aber es sind ihrer doch nur sechs, – sechs waren es, sechs sind es und sechs werden es im ganzen bleiben. Weitere werden nicht hinzukommen, da seien Sie unbesorgt, und auch weniger werden es nicht werden. Und das ist auf den ersten Blick eine überaus verzwickte Einrichtung. Aber in Wirklichkeit ist die Sache viel einfacher und wird mit Hilfe des suffrage universel bewerkstelligt. Natürlich sind entsprechende Maßnahmen vorgesehen, damit sie im Reden nicht zu weit gehen. Aber zu schwätzen ist erlaubt. Alljährlich werden also zur gebotenen Zeit die wichtigsten Staatsfragen erörtert und der Pariser lebt in süßer Erregung. Er weiß, daß es nun Redekunst geben wird, und Freude erfüllt ihn darob. Selbstverständlich weiß er nicht minder gut, daß er nur schöne Redekunst hören wird und nichts weiter, daß es Worte, Worte und Worte geben, aus diesen Worten jedoch nicht das Geringste hervorgehen wird. Aber er ist auch damit sehr, sehr zufrieden. Und er selbst ist der erste, der alles das überaus vernünftig findet. Die Reden einzelner dieser sechs liberalen Vertreter erfreuen sich einer besonderen Popularität. Und der Vertreter ist immer gern bereit, zum Vergnügen des Publikums Reden zu halten. Sonderbar ist nur eines: er weiß es doch selber ganz genau, daß durch alle seine Reden entschieden nichts erfolgt, daß dieses ganze Reden nur ein Zeitvertreib ist, ein Zeitvertreib und nichts weiter, ein harmloses Spiel, eine Maskerade, und trotzdem redet er, redet jahrelang, redet sogar wunderbar und redet mit großem Vergnügen. Und allen anderen Mitgliedern, die ihn reden hören, fließt vor Vergnügen das Wasser im Munde zusammen. »Schön spricht der Mann!« – und selbst dem Präsidenten und ganz Frankreich läuft das Wasser im Munde zusammen. Doch schließlich hat der Vertreter seine Rede beendet und nun erhebt sich der Präsident oder vielmehr der Erzieher dieser lieben, artigen Kinder. Er erklärt feierlich, daß die Rede über das gestellte Thema, sagen wir, »Der Sonnenaufgang«, von dem geehrten Herrn Volksvertreter vorzüglich entwickelt und ausgearbeitet gewesen sei. »Wir bewunderten das Talent des gelehrten Herrn Redners,« fährt er fort, »seine Gedanken und seine tadellose Erziehung, die in diesen Gedanken ihren Ausdruck fand; es war uns allen, allen ein Vergnügen, seinen Worten zu lauschen... Jedoch – zu meinem Leidwesen muß ich sagen, obgleich das verehrte Mitglied zur Belohnung durchaus eine Prämie in Gestalt eines Buches mit der Inschrift ›Für gute Aufführung und Fortschritte in den Wissenschaften‹ verdient hat, ja, wie gesagt, ungeachtet dessen, meine Herren, ist die Rede des verehrten Herrn Redners aus gewissen höheren Erwägungen zu nichts nütze. Ich hoffe, meine Herren, daß Sie mir ohne weiteres zustimmen werden?« Hier wendet er sich gewissermaßen an alle Anwesenden und sein Blick beginnt vor Strenge zu blitzen. Die Herren Vertreter, denen während der Rede das Wasser im Munde zusammenlief, klatschen dem Herrn Erzieher sogleich mit unbändiger Begeisterung ihren Beifall zu, doch das hindert sie nicht, gleich darauf dem liberalen Volksvertreter gerührt die Hände zu drücken, für das genossene Vergnügen zu danken und dabei die Bitte auszusprechen, ihnen dieses liberale Vergnügen mit Erlaubnis des Herrn Erziehers das nächste Mal wieder zu bereiten. Wohlwollend erlaubt dies der Herr Erzieher und der Verfasser der Rede über den »Sonnenaufgang« entfernt sich, stolz auf seinen Erfolg. Die übrigen Vertreter entfernen sich gleichfalls, kehren in den Schoß ihrer Familie zurück und lecken sich noch die Lippen in der Erinnerung an das genossene Vergnügen, und wenn der Abend kommt, gehen sie Arm in Arm mit ihren Epousen im Garten des Palais-Royal spazieren und lauschen dem wohltuenden Geplätscher der tugendsamen Springbrünnlein; ihr Herr Erzieher aber erklärt, nachdem er an zuständiger Stelle Bericht erstattet hat, dem ganzen Frankreich, daß alles in schönster Ordnung sei.
Manchmal übrigens, wenn man sich an wichtigere Dinge heranmacht, wird das Spiel auch ein wenig wichtiger gestaltet. In eine der Kammersitzungen führt man sogar den Prinzen Napoleon ein. Der Prinz Napoleon beginnt plötzlich zum größten Schrecken aller dieser lernenden Jünglinge Opposition zu machen. In der Kammer herrscht wie in einer Klasse von lauter Musterschülern feierliche Stille. Prinz Napoleon spielt den Liberalen, Prinz Napoleon ist mit der Regierung nicht
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