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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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einverstanden, seiner Meinung nach müsse dies und jenes geschehen. Der Prinz verurteilt die Regierung, – kurz, es wird dasselbe gesagt, was (vermutlich) auch alle diese artigen Kinder sagen könnten, wenn ihr Hofmeister nur auf einen Augenblick die Klasse verließe. Selbstredend würde auch dann alles nur mit Maß geschehen; und eigentlich ist auch das schon eine ganz unsinnige Vermutung, denn alle diese lieben Kinder sind ja so lieb erzogen, daß sie, selbst wenn ihr Hofmeister sie eine ganze Woche allein ließe, sich doch nicht einmal rühren würden. Und siehe, nachdem der Prinz Napoleon zu Ende gesprochen hat, erhebt sich der Herr Hofmeister und erklärt feierlichst, der Aufsatz über das Thema »Der Sonnenaufgang« sei von dem verehrten Herrn Redner vorzüglich entwickelt und ausgearbeitet worden. »Wir bewunderten das Talent, die beredten Gedanken und die Sittsamkeit des Allergnädigsten Prinzen ... Wir sind bereit, ihm für Fleiß und Fortschritte in den Wissenschaften ein Buch zu überreichen, aber... usw., usw.«, kurz alles, was schon gesagt wurde. Selbstverständlich klatscht die ganze Klasse Beifall, und zwar mit einer Begeisterung, die an Raserei grenzt, der Prinz wird nach Hause geleitet, die sittsamen Schüler verlassen den Klassenraum, ganz wie es artigen Musterkindern geziemt, und abends spazieren sie mit ihren Epousen im Garten des Palais-Royal, lauschen dem wohltuenden Geplätscher der Springbrünnlein usw., usw. usw., kurz, die Ordnung, die sie eingeführt haben, ist fabelhaft.
    Bei einem Besuch des Justizpalais versahen wir uns in der Salle des pas perdus und gelangten, statt in die Abteilung für Kriminalsachen, in die der Zivilprozesse Ein Rechtsanwalt mit lockigem Haar, in langer Robe, das Barett auf dem Kopf, hielt eine Rede, in der er mit wahren Perlen der Redekunst nur so um sich streute. Der Vorsitzende, die Richter, die Zuhörer schwammen in Wonne und Entzücken. Andächtige Stille herrschte im Raum: wir schlichen auf den Fußspitzen hinein. Es handelte sich um eine Erbschaftsgeschichte, in die eine Ordensbruderschaft verwickelt war. Ordensbrüder sind jetzt oft in Rechtsstreite verwickelt, namentlich in solche, wo es sich um Erbschaften handelt. Die skandalösesten, die schmutzigsten Begebenheiten werden aufgedeckt; doch das Publikum schweigt und ist sehr wenig schockiert, da die Patres gegenwärtig eine beträchtliche Macht haben und der Bourgeois ja so ungemein folgsam ist. Die geistlichen Väter stellen sich immer mehr auf den Boden der Ansicht, daß Geld doch das Beste sei, besser als alle diese Schwärmereien und dergleichen, und daß man, wenn man erst Geld beisammen hat, dann auch Macht haben kann, Redekunst dagegen sei doch nur Redekunst! Mit der allein mache man's jetzt nicht mehr. Aber darin irren sie sich ein wenig, wie mir scheint. Freilich ist so ein Kapitälchen eine lobesame Sache, aber auch mit der Redekunst kann man beim Franzosen viel erreichen. Besonders die Epousen sind's, die sich dem Einfluß der Ordensväter ergeben, jetzt sogar noch mehr, als es früher zu bemerken war. Und es steht zu hoffen, daß auch der Bourgeois einlenken wird. In jenem Prozeß stellte sich nun heraus, wie die Väter durch langjährige, schlaue, ja sogar wissenschaftliche Quälerei (sie haben zu dem Zweck eine ganze Wissenschaft entwickelt) eine gute und sehr reiche Dame veranlaßt hatten, ins Kloster überzusiedeln, wie diese Dame dort von ihnen so lange geängstigt worden war, bis sie krank wurde, wie man sie bis zur Hysterie mit allen Schrecknissen geschreckt hatte, und alles das mit seiner Berechnung, in wissenschaftlich abgewogener Steigerung. Und schließlich, als man das Opfer richtig krank und fast idiotisch gemacht hatte, begann man ihr noch vorzuhalten, daß es vor Gott dem Herrn doch eine große Sünde sei, an irdischen Verwandten zu hängen und sich mit ihnen abzugeben, und so hatten die Väter schließlich jedes Wiedersehen mit ihren Verwandten zu hintertreiben und diese von ihr vollkommen fernzuhalten gewußt. »Selbst ihre Nichte, diese jungfräuliche, kindliche Seele, dieser fünfzehnjährige Engel der Reinheit und Keuschheit, – selbst dieser Engel durfte sich nicht mehr unterfangen, die Zelle der vergötterten Tante zu betreten, dieser Tante, die ihre Nichte über alles auf der Welt liebte und nun infolge jener ränkevollen Hinterlist der Möglichkeit beraubt ward, le front virginal dieses Mädchens zu küssen, diese Stirn, auf der noch der weiße Engel der Unschuld

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