Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
anderen Form auch schon von ihnen selbst bestätigt ist). Dieses andere war: die unmittelbare Berührung mit dem Volke, die brüderliche Vereinigung mit ihm im gemeinsamen Unglück, die Einsicht, daß man selbst zu Volk geworden, mit ihm gleichgestellt, ja sogar auf seine niederste Stufe hinabgedrückt war.
Ich sage nochmals, diese Änderung vollzog sich nicht so schnell, sondern ganz allmählich und erst nach sehr, sehr langer Zeit. Es war nicht Stolz, nicht Eigenliebe, was dem Eingeständnis im Wege stand. Und dabei war ich vielleicht einer von jenen (ich spreche nun wieder von mir allein), denen die Rückkehr zur Volkswurzel, zum Erkennen der russischen Seele, zur Anerkennung des Volksgeistes von Hause aus am meisten erleichtert war. Ich stammte aus einer Familie, die russisch und gottesfürchtig war. Soweit ich überhaupt zurückdenken kann, erinnere ich mich der Liebe meiner Eltern zu mir. Mit dem Evangelium waren wir in unserer Familie bereits seit der frühesten Kindheit vertraut. Schon mit zehn Jahren kannte ich alle wichtigeren Geschehnisse der russischen Geschichte nach dem Werk Karamsins, aus dem uns der Vater abends vorlas. Der Besuch des Kremls und der alten Moskauer Kirchen war für mich stets etwas Feierliches gewesen. Vielleicht hatten die anderen Petraschewzen keine Erinnerungen solcher Art, wie ich sie hatte. Ich denke jetzt sehr oft darüber nach und frage mich: was für Eindrücke mag die heutige Jugend in der Mehrzahl aus ihrer Kindheit ins Leben mitnehmen? Und nun, wenn es sogar mir, der ich schon auf ganz natürliche Weise über jene verhängnisvolle neue Umgebung, in die das Unglück uns hineingeschleudert hatte, nicht hochmütig hinwegsehen konnte, wenn es sogar mir, der ich mich zu der Offenbarung des Volksgeistes vor meinen Augen nicht herablassend Verhalten oder sie nur mit einem flüchtigen Blick streifen konnte, – wenn es also auch mir, sage ich, so schwer war, mich schließlich von der Lüge und Unwahrheit fast alles dessen, was wir zu Hause für Licht und Wahrheit gehalten hatten, zu überzeugen, so frage ich mich: wie schwer muß es dann erst den anderen gefallen sein, allen denen, die viel tiefer dem Volk entfremdet waren, die aus Familien stammten, in denen die Entzweiung mit dem Volk ererbt war und schon von den Vätern und Großvätern übernommen wurde?
Es würde mir sehr schwer fallen, die Geschichte der Wandlung meiner Überzeugungen zu erzählen, um so mehr, als sie vielleicht auch gar nicht so interessant ist; und überdies paßt es auch irgendwie nicht zu einem Feuilletonartikel ...
Meine Herren Verteidiger unserer Jugend, prüfen Sie doch schließlich auch das Milieu, prüfen Sie die Gesellschaft, in der diese Jugend aufwächst, und fragen Sie sich dann: gibt es in unserer Zeit überhaupt etwas, das gegen gewisse Einflüsse noch weniger geschützt ist, als diese Jugend?
Stellen Sie zunächst die Frage: wenn selbst die Väter dieser Jünglinge in ihren Überzeugungen nicht besser, nicht fester, nicht gesünder sind; wenn diese Kinder in ihren Familien schon von kleinauf nur Zynismus und hochmütige, gleichgültige (meistenteils gleichgültige) Verneinung erlebt haben; wenn das Wort Vaterland vor ihnen nie anders als mit einem spöttischen Zug um den Mund ausgesprochen worden ist; wenn alle, die sie erzogen, sich zu der Sache Rußlands nur mit Verachtung oder Gleichgültigkeit verhalten haben; wenn die großmütigsten unter ihren Vätern und Erziehern ihnen immer nur »allgemeinmenschliche« Ideen gepredigt haben; wenn schon ihre Kinderwärterinnen davongejagt wurden, weil sie an ihren Wiegen trotz des Verbots das Gebet an die Gottesmutter sprachen, – so sagen Sie doch: was kann man danach von diesen Kindern verlangen, und ist es dann noch human, bei einer Verteidigung der Jugend, wenn sie einer solchen bedarf, das Ganze für sich selbst mit einfacher Leugnung der Tatsache abzutun?
Vor kurzem fiel mir in unserer Tagespresse folgendes Entrefilet auf:
»Die ›Kama- und Wolga-Zeitung‹ berichtet, daß in diesen Tagen drei Gymnasiasten des zweiten Gymnasiums in Kasan, Quintaner, zur Verantwortung gezogen worden sind wegen eines Vergehens, das mit ihrer geplanten Flucht nach Amerika in Verbindung stand« ... (St. Petersburger Nachrichten vom 13. November.)
Vor zwanzig Jahren wäre mir die Nachricht, ein paar Gymnasiasten, Quintaner, hätten nach Amerika zu fliehen beschlossen, als unsinniges Geschwätz erschienen. Doch schon in dem einen Umstände, daß eine
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