Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
ihr hinterlassen, hat in der Geschichte unserer Entwicklung fast eine ganze Epoche bedeutet. Dieses russische Verhältnis zur Weltliteratur ist eine Erscheinung, die sich in der ganzen Weltgeschichte bei den anderen Völkern in einem solchen Grade fast nicht wiederholt hat, und wenn diese Eigenschaft nun wirklich unsere nationale russische Besonderheit ist, – welcher empfindliche Patriotismus, welcher Chauvinismus hatte dann noch das Recht, gleichviel was gegen diese Erscheinung zu sagen, und würde nicht, im Gegenteil, gerade darin vor allen Dingen die breit-versprechendste und prophetischste Tatsache in den Mutmaßungen über unsere Zukunft sehen. Oh, natürlich, viele werden vielleicht lächeln, wenn sie in dem oben Geschriebenen lesen, was für eine Bedeutung ich George Sand beilege; aber die Lachenden werden unrecht haben. Es ist über all diesen vergangenen Dingen jetzt schon mehr als genug Zeit vergangen und auch George Sand selbst ist nun als siebzigjährige Greisin gestorben, nachdem sie vielleicht schon längst ihren Ruhm überlebt. Doch alles das, was in der Erscheinung dieses Dichters das »neue Wort« ausmachte, alles, was in ihm »Allmenschliches« war, alles das fand seinerzeit bei uns, in unserem Rußland, einen mächtigen Widerhall, hinterließ einen starken und tiefen Eindruck, verfehlte uns nicht und bewies damit, daß jeder Dichter, jeder Novator Europas, jeder, der dort mit einem neuen Gedanken und einer neuen Kraft vorübergegangen ist, sofort auch zu einem russischen Dichter wird, dem russischen Denken nicht zu entgehen vermag, ja, nicht umhin kann, fast zu einer russischen Kraft zu werden. Doch übrigens will ich keineswegs eine literarische Kritik über George Sand schreiben, sondern ich wollte bloß der Toten, die uns verlassen hat, ein paar Geleitworte an ihrem frischen Grabe sagen.
Ein paar Worte über George Sand.
Das Auftreten George Sands in der Literatur fällt zeitlich mit den Jahren meiner ersten Jugend zusammen, und es freut mich sehr, gerade jetzt, daß dies schon so lange her ist, denn nun darf man doch wohl, nach guten dreißig Jahren, nahezu ganz offen darüber sprechen. Es sei hier vorausgeschickt, daß damals nur so etwas erlaubt war, – d. h. nur Romane, alles übrige, fast jeder Gedanke, besonders wenn er aus Frankreich kam, war strengstens verboten. Oh, versteht sich, sehr oft verstand man nicht zu sehen, aber von wem hätten sie denn das auch lernen sollen: verstand doch selbst Metternich nicht zu sehen, wie sollten es da unsere Nachahmer verstehen. Und deshalb schlüpften denn auch »schreckliche Sachen« durch (zum Beispiel der ganze Bjelinski). Dafür wurde dann, gleichsam um das wettzumachen, besonders zum Ende hin und um Versehen auszuschließen, so gut wie alles verboten, so daß es zu guter Letzt, wie man weiß, bei den Transparenten endete. Aber Romane waren erlaubt, sowohl zu Anfang, wie in der Mitte und sogar ganz zuletzt, und gerade auf diesem Gebiet, und zwar speziell hinsichtlich George Sand, schossen die Beschützer damals einen großen Bock. Erinnern Sie sich des Gedichts:
»Die Werke von Thiers und Rabeau
kennt auswendig unser Mann,
Und wie der feurige Mirabeau
preist er die Freiheit an.«
Dieses Gedicht ist ungemein talentvoll, sogar selten talentvoll, und es ist natürlich unvergänglich, denn es ist historisch; doch gerade das erhöht ja seinen Wert, sintemal es von Denis Dawydoff stammt, somit von einem Dichter, Schriftsteller und ehrlichsten Russen. Doch wenn selbst Denis Dawydoff, und zwar wen – Thiers (wegen seiner »Geschichte der Revolution«, selbstredend) damals für gefährlich hielt und in diesem Gedicht erwähnte, nebst irgendeinem Rabeau (also hat es auch so einen gegeben, ich weiß übrigens nicht), so muß damals doch wohl gar zu wenig offiziell erlaubt gewesen sein. Und was dabei herauskam, war: daß das, was damals in der Form von Romanen bei uns eindrang, nicht nur genau so der Sache zustatten kam, sondern vielleicht noch in der »gefährlichsten« Form erschien, wenigstens zu der Zeit, denn für einen Rabeau hätten sich dazumal wohl schwerlich so viele Liebhaber gefunden, für George Sand dagegen fanden sie sich zu Tausenden. Hier muß bemerkt werden, daß bei uns ungeachtet aller Magnitzkis und Liprandis schon seit dem vorigen Jahrhundert jede intellektuelle Bewegung in Europa immer sofort bekannt wurde und die Kunde davon aus den höheren Schichten unserer Intelligenz sofort in die Masse aller auch nur ein wenig sich
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