Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
dafür interessierenden und denkenden Menschen drang. Genau so geschah es mit der europäischen Bewegung in den dreißiger Jahren. Von dieser riesigen Bewegung der europäischen Literaturen bereits ganz zu Anfang der dreißiger Jahre bekam man bei uns schon sehr bald einen Begriff. Man kannte auch schon die Namen von vielen neuen Rednern, Historikern, Tribunen, Professoren. Es wurde sogar, wenn auch nur teilweise, wenn auch nur annähernd, sogar das bekannt, in welcher Richtung diese ganze Bewegung sich bewegte. Besonders deutlich aber kam diese Bewegung in der Kunst zum Ausdruck, in Romanen, hauptsächlich aber bei – George Sand. Allerdings wurde das Publikum bei uns schon vor dem Erscheinen ihrer Romane in russischer Sprache von Ssenkowski und Bulgarin gewarnt. Vornehmlich schreckte man die russischen Damen damit, daß sie in Hosen gehe: man wollte mit ihrem ausschweifenden Leben die Leser einschüchtern, man wollte sie lächerlich machen. Ssenkowski, der sich ja selbst daranmachte, George Sand zu übersetzen und in seiner Zeitschrift »Bibliothek für Lektüre« zu veröffentlichen, begann sie »Frau Jegor Sand« zu nennen und blieb, wie's scheint, sehr zufrieden mit seinem Witz. Später, im Jahre 1848, schrieb Bulgarin in seiner »Nordischen Biene«, daß sie sich mit Pierre Leroux tagtäglich an der Barrière betrinke und an den Athenischen Abenden teilnehme, im Ministerium des Innern, bei diesem Räuber und Minister des Inneren Ledru-Rollin. Ich habe das selbst gelesen und erinnere mich dessen noch sehr gut. Doch damals, im Jahre 1848, war George Sand bei uns bereits so gut wie dem ganzen lesenden Publikum bekannt und niemand glaubte den Berichten Bulgarins. Zum erstenmal aber erschienen ihre Werke in russischer Sprache ungefähr um die Mitte der dreißiger Jahre; schade, daß ich mich nicht mehr entsinnen kann, welches ihrer Werke zuerst übersetzt wurde und wann es erschien; doch um so wunderbarer wird wohl der Eindruck gewesen sein. Ich denke, alle Leser wird, ganz wie mich, der ich damals noch ein Jüngling war, diese keusche, hohe Reinheit der Typen und Ideale und die schlichte Schönheit des strengen, zurückhaltenden Tons ihrer Erzählung betroffen gemacht haben, – und eine solche Frau ging in Hosen und führte ein ausschweifendes Leben! Ich war, wenn ich nicht irre, sechzehn Jahre alt, als ich zum erstenmal ihre Novelle »L'Uscoque« las – eines ihrer schönsten ersten Werke. Ich weiß noch, ich fieberte nachher die ganze Nacht. Ich glaube, mich nicht zu täuschen, wenn ich sage, daß George Sand, wenigstens nach meinen Erinnerungen, bei uns alsbald fast den ersten Platz einnahm in der Reihe jener ganzen Plejade neuer Schriftsteller, die damals plötzlich berühmt wurden und deren Ruhm ganz Europa durchflog. Selbst Dickens, der bei uns ungefähr um dieselbe Zeit erschien, stand ihr in der Aufmerksamkeit unseres Publikums vielleicht nach. Ich rede schon gar nicht von Balzac, der schon vor ihr erschienen war, aber in den dreißiger Jahren doch solche Werke gab, wie »Eugénie Grandet« und »Pere Goriot« (und den Bjelinski so ungerecht beurteilte, da er seine Bedeutung in der französischen Literatur ganz übersah), übrigens sage ich das alles nicht vom Standpunkte irgendeiner kritischen Abschätzung, nein, ich spreche nur aus der Erinnerung von dem Geschmack der damaligen Masse der russischen Leser, von dem unmittelbar auf sie ausgeübten Eindruck. Die Hauptsache war, daß der Leser alles das, wovor er damals so behütet und beschützt wurde, aus diesen Romanen herauszulesen verstand. Wenigstens war bei uns Mitte der vierziger Jahre selbst der Masse der Leser schon bekannt, wenn auch nur so im allgemeinen, daß George Sand eine der hellsten, strengsten und folgerichtigsten Vertreterinnen jener Kategorie der damaligen neuen Menschen des Westens war, die mit der einfachen Verneinung jener »positiven« Errungenschaften auftraten und begannen – der Errungenschaften, mit denen die blutige französische (oder richtiger europäische) Revolution vom Ende des vorigen Jahrhunderts ihre Tätigkeit abschloß. Nach der Beendung der Revolution (nach Napoleon I.) zeigten sich neue Versuche, die neuen Wünsche und neuen Ideale auszudrücken. Die fortgeschrittensten Geister begriffen nur zu gut, daß sich nur der Despotismus erneuert, daß sich nur »ôtes-toi de là que je m'y mette« vollzogen hatte, daß die neuen Besieger der Welt (die Bourgeois) vielleicht schlimmer denn die früheren Despoten (die
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