Werke
entsetzten Augen an, und das Ungeheuer stieß abermals ein Geheul aus, weit grausenhafter als vorhin; denn es war der Schrei einer armen Seele, die nach Erlösung ringt. Es fühlte die innere Wohlgestalt und den edlen Klang der Stimme, die eigentlich sein eigen waren, aber es suchte vergebens die abschreckende Hülle zu sprengen, die alles in bösem Zauberbann verschloß.«
Der Erzähler hielt erschöpft inne, eine unheimliche Erregung brannte in seinen Augen.
»Brunken«, sagte ich, »besinne dich! Ist das ein Kindermärchen, was du da erzählst?«
»Es gilt wenigstens dafür!« erwiderte er.
Aber ehe wir Zeit fanden, unser Gespräch fortzusetzen, bemerkte ich, daß Gertrud aufgestanden war und zwischen den Bäumen fortging. Ich sprang auf. »Erzähle den Kindern deine Geschichte zu Ende!« sagte ich und folgte dem Mädchen, die schon hinter dem niederhängenden Gezweig verschwunden war. Auch fand ich sie bald; in einer kleinen Lichtung sah ich sie am Boden liegen, ihr Gesichtchen in das Moos gedrückt; ich hörte, wie sie wimmernd vor sich hin sprach: »Was fang ich an, was fang ich an!« – Als ich hinzutrat und ihren Arm berührte, sprang sie auf und schüttelte die erhobenen Hände, ganz wie ein verzweifeltes Kind.
»Gerte, was ist?« fragte ich.
»O Gott«, rief sie, ohne von ihrem kindlichen Gebaren abzulassen, »er liebt mich; oh, es ist ganz gewiß, daß er mich liebt!«
»Wer denn? Ist denn das so fürchterlich?«
Sie antwortete nicht, sondern sah mich nur mit großen hülflosen Augen an. Da ich aber Miene machte fortzugehen, ergriff sie meine Hand. »Bleib, Arnold! Ich will’s dir ja sagen, hab doch nur Geduld!«
»Nun, so sprich, Gertrud.«
Aber sie schlug die Hände vors Gesicht: »Nein, ich kann’s nicht!« rief sie.
»Weshalb nicht? Bin ich nicht dein alter Kamerad?«
»Arnold – ich schäme mich. – Nein, bleib, geh nicht, ich ersticke sonst daran.«
»Nun, Gertrud, wer ist es denn, der dich so erschrecken kann?«
Sie sah mich eine Weile unentschlossen an, dann mit einer raschen Bewegung zu mir tretend, brachte sie den Mund dicht an mein Ohr und rief mit einem Ton des Abscheues: »Der Bucklige!«
»Mein armer Freund!« Ich wußte weiter nichts zu sagen, obgleich es mir seit der letzten halben Stunde nichts Neues war, was ich erfuhr.
Gertrud nickte. »Er hat so gute Augen!« sagte sie. »Oh, ich weiß es ja, es ist so schlecht von mir!« und dabei fing sie bitterlich zu weinen an.
Nachdem ich sie etwas beruhigt hatte, bat ich sie noch ein paar Augenblicke hier zu verweilen; ich wollte, ehe sie dorthin zurückkehrte, den kleinen Maler aus dem Kinderkreise zu entfernen suchen. Gertrud war damit einverstanden. Als ich aber kaum ein paar Schritte in die Bäume hinein getan hatte, sah ich nicht weit von mir eine arme gebrechliche Gestalt an einen Baum gelehnt.
»Brunken«, rief ich, »was machst du hier?«
»Nicht eben viel«, erwiderte er, »die Kleine da hat mir das Ende meiner Ungeheuergeschichte erzählt; eigentlich freilich hat sie es wohl nur dir erzählen wollen, aber ich habe scharfe Ohren.« Dann ergriff er meine Hand. »Arnold«, sagte er und seine Stimme klang auf einen Augenblick fast weich, »es ist ein schwer Exempel; meine Seele und meine Kunst verlangen nach der Schönheit, aber die langfingerige Affenhand des Buckligen darf sie nicht berühren.«
In solchem Augenblick vermag ein anderer nicht viel; was wir noch gesprochen, dessen erinnere ich mich nicht mehr; ebensowenig, wie der Rest des Tages verlief. Nur das weiß ich noch, daß bei der Rückfahrt der unglückselige Assessor neben Gertrud auf der Leiterbank und Brunken den beiden gegenüber zu sitzen kam. Er hatte während einer ganzen Stunde hinlänglich Gelegenheit, sich das Herz voll Gift und Leidenschaft zu trinken; denn auch mir entging es nicht, daß jene beiden nicht ungern nebeneinander saßen, wie ich es denn auch gestehen muß, daß sie später durch den Segen der Kirche so fest als möglich miteinander verbunden worden sind.
Als wir in der Stadt und vor meines Onkels Hause angekommen waren, sprang Brunken vom Wagen und rannte, ohne einem von uns ein »Gute Nacht« geboten zu haben, die Straße hinab; sein kleiner Radmantel, den er umgebunden hatte, schwebte wie ein Dach über den dünnen Beinen.
»Heisa! Freu dich, Christel!« hörte ich einen Jungen einem alten Weibe zurufen, das sich mit einem Korb voll Wäsche über die Straße schleppte. »Die Schildkröten laufen herum, heute nacht gibt’s
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