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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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verantworten!«
    Er nahm ihre nur schwach widerstrebende Hand und küßte sie: »Ich bin nicht undankbar, Mutter; aber ich weiß auch, daß ich meine Schuld allein zu tragen habe.«
    Frau von Schlitz antwortete nicht sogleich ; hinter ihrer breiten Stirn, die unter einer schwarzen Florhaube noch blasser als das Antlitz ihres Sohnes schien, hielten die Gedanken raschen Überschlag. »Besinne dich«, begann sie dann anscheinend ruhig; »du hast den Brief deines derzeitigen Arztes selbst gelesen, er enthielt nichts, was zu verbergen war; von jener Seite droht deinem oder, wie ich jetzt ja sagen muß, euerem Leben nicht Gefahr. Dich drückt nur das Geheimnis, das Versprechen, das du mir gegeben hast; ich gebe es dir zurück, es war unnötige, übertriebene Sorge, da ich es von dir verlangte.«
    Aber Rudolf blickte wie erstaunt auf sie herab. »Reden? Jetzt noch reden, Mutter? Und das rätst du mir? Und Anna? Anna? Dreizehn Jahre lang, und immer die armen Augen nach dem Schreckgespenst? – – Nein, nein!« rief er heftig, »jetzt muß ich mit mir selber fertig werden!«
    »Und wenn du es nicht wirst, Rudolf?« Wie von Angst gepreßt wurden diese Worte ausgestoßen.
    »Dann«, sagte er langsam, »wird sie frei von mir; es gibt nur einen Weg, den ich ohne sie noch gehen kann. O Mutter, hat denn mein Vater dich nicht auch geliebt?«
    Sie hatte sich aufgerichtet, eine Frau von nicht mehr jugendlicher, aber noch immer ernster Schönheit. »Ja, mein Sohn«, rief sie und schlang leidenschaftlich beide Arme um seinen Nacken, »wohl haben wir uns geliebt, ich und dein Vater; aber dich lieb ich mehr, als Mann und Weib sich lieben können; was kümmern mich alle andern Menschen außer dir!«
    Stumm, erschüttert hielt der Sohn die Mutter an seiner Brust; an dem Zucken ihres Leibes fühlte er, wie die starke Frau sich selbst zur Ruhe kämpfte. Aber unter den zärtlichen Worten, die sein Herz ihn sprechen ließ, verkannte er gleichwohl nicht, daß diese Leidenschaft, wo sie ihn bedroht wähne, in jedem Augenblick bereit sei, sich feindselig gegen alle Welt, ja gegen des eignen Sohnes Weib zu kehren. Mit dem Scharfsinn seiner jugendlichen Liebe las er in der Seele der erregten Frau; und ehe beide voneinander schieden, hatte die Mutter, wenn auch widerstrebend, ihm nun ihrerseits geloben müssen, an der Vergangenheit ohne sein Zutun nicht zu rühren.
    Nur darin traf ihr Wunsch mit einem bereits von ihm gefaßten Entschluß überein: er wollte sich Beruhigung oder wie er still bei sich hinzufügte – doch Entscheidung über seinen Zustand bei dem Arzte holen, unter dessen Fürsorge er jene Monate des vergangenen Jahres zugebracht hatte; wenn er noch einmal eine Nachtfahrt daransetzte, so wer ihm, bei der unerwartet raschen Erledigung des Geschäftes, die Zeit noch zur Verfügung.
    – – Und etwa zehn Stunden später saß er dem Genannten, einem kräftigen Manne in mittleren Jahren, gegenüber; die heiteren, etwas schelmischen Augen des Arztes ruhten auf dem Antlitz seines früheren Patienten, während dieser, der dem vertrauengebenden Wesen desselben seine damalige rasche Genesung zu verdanken glaubte, ihm dies in warmen Worten aussprach.
    »Aber was treiben Sie denn, Herr von Schlitz«, unterbrach ihn jener, »Sie sollten wohler aussehen! Sie sind von uns als völlig – wohlverstanden, als völlig geheilt entlassen worden.« Die Frage, um deren willen Rudolf seine Reise hieher verlängert hatte, war somit schon zum größten Teil und auf das unverfänglichste beantwortet; nun galt es nur noch seinerseits eine unverhaltene Auskunft über späteres Erlebnis; und nach kurzem Widerstreben überwand er sich: sein Geheimnis war hier keines, nun bekannte er auch seine Schuld. Ein leichtes Stirnrunzeln überflog das Angesicht des älteren Mannes. »Nein, nein«, sagte er gleich darauf, da Rudolf stockte, »sprechen Sie nur; ich klage Sie nicht an!«
    Und der Jüngere fuhr fort und verschwieg ihm nichts. »Mitunter« – so schloß er seine Beichte –, »aber nur in kurzen Augenblicken, ist es mir, als ob der dunkle Vorhang aufweht, und dahinter, wie zu meinen Füßen, sehe ich dann das Leben gleich einer heiteren Landschaft ausgebreitet; aber ich weiß doch, daß ich nicht hinunter kann.«
    Wieder ruhte der sinnende Blick des Arztes auf des jungen Mannes Antlitz. »Nicht wahr«, sagte er dann, »aber es ist mehr der anteilnehmende erfahrene Mann als der Arzt, der diese Frage an Sie tut – Sie haben eine gesunde und eine Frau von

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