Werke
heiterem Gemüte?«
Rudolfs Augen leuchteten, und in seinen Armen zuckte es, als müsse er sich zwingen, sie nicht nach seinem fernen Weibe auszustrecken. »Sie sollten sie nur sehen!« rief er. »Nein, nur ihre Stimme brauchten Sie zu hören!«
Der Arzt lächelte. »Dann«, sagte er, »wenn dem so ist«, und er betonte jedes Wort, als ob er auf schwerwiegende Gründe eine Entscheidung baue, »dann – reden Sie; und Sie werden nicht allein in jenes heitere Land hinunterschreiten!«
Rudolf war fast erschrocken, als dieselbe Forderung, die er noch kurz zuvor der Mutter gegenüber so schroff zurückgewiesen hatte, ihm nun auch hier entgegenkam. Aber sie reizte ihn hier nicht zum Widerspruche; die ruhigen Worte, in denen jetzt der teilnehmende Mann ihm zusprach, mochten kaum anderes enthalten, als was er von seiner Mutter auch schon wiederholt gehört hatte; dennoch war ihm, als ob seine Gedanken sich allmählich von einem Banne lösten, der sie stets um einen Punkt getrieben hatte. Allein hatte er seinen Weg in Nacht und Schrecken wandern wollen! Aber – und seine Brust hob sich in einem starken Atemzuge – es gab ja kein »Allein« für ihn, er selber hatte ja gesagt, sie seien aneinander festgeschmiedet, er konnte nicht in der Finsternis und sie im Lichte gehen; er begriff nicht, daß er das nicht längst begriffen hatte.
Entschlossen reichte er dem Arzt die Hand hinüber. »Ich danke Ihnen«, sagte er, »ich werde reden.«
»Und Sie werden recht tun.« – Dann schieden sie.
Heiter, voll froher Zukunftsbilder, fuhr Rudolf seiner Heimat zu; bei hellem Mittag, in einer unablässig schwatzenden Reisegesellschaft, erquickte ihn ein langer Schlaf; als er unweit seines Zieles dann erwachte, konnte er kaum erwarten, vor Anna hinzutreten und Schuld und Reue vor ihr auszuschütten; er sah schon, wie sie weinen, wie sie dann aus ihren Tränen sich erheben und, ihm mutig zulächelnd, ihre kleine feste Hand in die seine legen würde; ja, Anna, die Schöne, Gute, sie hatte ja auch ein festes Herz!
Er hatte nicht bedacht, daß er während seiner Ehe zum ersten Mal so lange fern gewesen war. Als er von der letzten Bahnstation den Richtweg durch den Wald dahinschritt, da klopfte sein Herz doch nur nach seinem Weibe; und als er, auf die Wiese hinaustretend, sie dann im Abendschatten auf der Schwelle seines Hauses stehen sah, sie selber leuchtend in Jugend und Liebe, die Arme ihm entgegenstreckend, aber doch wie festgebannt, als müsse sie hier ihr Glück empfangen, da stieg es nur wie ein Gebet aus seiner Brust, daß auch nicht eines Sandkorns Fall den Zauber dieser Stunde stören möge.
Morgen! Sie waren ja morgen auch beisammen.
Und es wurde morgen, und der helle Tag, der unerbittlich zu Pflicht und Arbeit fordert, schien in alle Fenster des Försterhauses. Rudolf hatte in seinem an der Rückseite belegenen Zimmer die in seiner Abwesenheit eingegangenen Geschäftssachen eingesehen und trat jetzt in die gemeinsame Wohnstube, wo Frau Anna den Morgenkaffee für ihn warm gehalten hatte. Nur ein Händedruck wurde gewechselt; dann nahm er schweigend die Tasse, welche sie ihm reichte, und Anna, die ihr Frühmahl schon beendet hatte, zog ihren Stuhl zu ihm heran und strickte weiter an einem Unterjäckchen, das noch vor der rauhen Jahreszeit zu dem gebrechlichen Brüderlein ins elterliche Pfarrhaus wandern sollte. Ihrer Augen bedurfte diese Arbeit nicht; die ruhten auf ihres Mannes Antlitz: er sah viel besser aus, als da er fortgegangen war; auf seiner Stirn und über den Augenlidern, die sich mitunter hoben und dann sinnend wieder senkten, lag etwas wie eine frohe Zuversicht; gewiß, während er so schweigend neben ihr sein Mahl verzehrte, überdachte er die gute Botschaft, die er noch am selben Vormittag dem Grafen überbringen mußte.
Aber Frau Anna irrte; das Schweigen ihres Mannes galt ihr selber: es war das Bekenntnis seiner Schuld, wofür sein Herz die Worte suchte, und was von seiner Stirne leuchtete, das war der Abglanz jener wolkenlosen Landschaft, in die er heute noch mit ihr hinabzuschreiten dachte.
Da, bevor zwischen beiden noch ein Wort gesprochen worden, pochte es an die Stubentür, und Rudolf fuhr aus seinem Sinnen auf. Es war nur der alte Waldwärter Andrees, der ins Zimmer trat, um über dies und jenes zu berichten; aber mit ihm war etwas anderes unsichtbar hereingekommen, was wir Zufall zu nennen pflegen, was auf den Gassen der Wind vor unsere Füße oder durchs offene Fenster in das Innere unseres Hauses
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