Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
Vom Netzwerk:
machen, Rudolf; aber ich will diese schwarze Fliege fortjagen, denn sie kommt aus deinem Hirn und soll mir nicht dahin zurück; ich habe nie von diesem Spuk gehört.«
    Er ließ sie gewähren; nur seine Augen suchten in zärtlicher Angst die ihren festzuhalten. »Aller Spuk ist selten«, sagte er leise; »aber die schwarzen Fliegen sind doch wirklich da!«
    »Nein!« rief sie, indem sie sich zu ihm neigte und, das Brett mit Kannen und Tassen emporhebend, es anmutig fertigbrachte, ihm den Mund zum Kuß zu reichen; »nein, Rudolf, nun sind sie alle fort! – Und nun laß mich!« setzte sie hinzu, da eben die Magd die neueste Zeitung auf den Tisch legte, welche, wie gewöhnlich um diese Zeit, des Oberförsters Knecht ihr ins Küchenfenster hineingereicht hatte. »Nun studier deine Zeitung und sieh zu, ob auch etwas für deine Frau darin ist!«
    Er hatte sie freigelassen und sah ihr nach, da sie in das Haus ging; dann nahm er die Zeitung und begann zu lesen. Aber er las nur obenhin und ließ oft die Hand, welche das Blatt hielt, sinken; erst als er auch die letzten Spalten überflog, wurde seine Aufmerksamkeit gefesselt, jedenfalls schienen seine Augen über eine Notiz von wenig Zeilen nicht hinauszukommen. Es mochte nichts Heiteres sein, denn schwere Stirnfalten drückten seine Augenlider, während er noch immer darauf hinstarrte; oder hatte Frau Anna doch die schwarzen Fliegen nicht verjagen können? Plötzlich erhob er sich und legte die Zeitung auf den Tisch, indem er zugleich nach seinem Hute langte, den er über sich an einem Zweige aufgehangen hatte.
    Aus dem offenen Hausflur rief die Stimme seiner Frau: »Was willst du, Rudolf? Gehst du fort?«
    »Nur zum Andrees!« rief er zurück; »er soll den Köder in den Fuchseisen noch erneuern!«
    »So wart doch wenigstens, bis die ärgste Glut vorüber ist!«
    Aber er winkte nur noch mit der Hand und war bald auf dem Wege, der an des Forstwärters Haus vorbei zum Walde führte, hinter dem Gebüsch verschwunden.
    Was Rudolf in der Zeitung gelesen hatte, lautete wörtlich wie folgt:
    »Am letzten Dienstage, so wird von glaubhafter Seite uns berichtet, saß der erst kürzlich verheiratete Hufschmied Br... zu Wallendorf nach Feierabend mit seiner Frau im Wohnzimmer. Das Gespräch zwischen den Eheleuten war eine Weile stumm gewesen, als der Mann wieder anhub: ›Heute sind es gerade dreizehn Jahre, daß ich von einem tollen Hund gebissen wurde! Man sagte mir damals, ich solle mich nicht verheiraten; aber es hat mir bis jetzt doch nichts darum geschadet.‹ Die Frau, welche erst in diesem Augenblick von jenem Vorgang hörte, erschrak heftig; noch mehr aber, als sie jetzt in das plötzlich verzerrte Antlitz ihres Mannes blickte. Und kaum waren einige Minuten verflossen, als die Nachbaren auf ihr Geschrei herbeieilten und den Unglücklichen, bei dem schon alle Zeichen von Tollwut ausgebrochen waren, an Händen und Füßen fesseln mußten.«
    Das war es, was Rudolf gelesen und was so ganz von ihm Besitz genommen hatte, daß es allem übrigen sein Ohr verschloß. Und jetzt auf dem einsamen Wege kamen ihm die Worte, die einzelnen Sätze in ihrer Reihenfolge immer wieder; er suchte anderes zu denken: an seine Mutter, an Anna, sogar an des Herrn Grafen Exzellenz; aber es half nichts, es waren immer nur die schwarzen Buchstaben in ihrem kleinen Zeitungsdruck, die unabweisbar an ihm vorüberzogen.
    In der Hütte des Waldwärters traf er diesen nicht daheim; er ging wieder hinaus, ohne auch nur der anwesenden Frau den einfachen Auftrag mitzuteilen. Erst nach einer Weile bemerkte er, daß er nicht den Rückweg nach seinem Hause eingeschlagen hatte, sondern mitten im Walde auf einem Wege schritt, der zwischen hohen finsteren Tannen ausgehauen war. Endlich begann er seiner Gedanken Herr zu werden: was wollte jene furchtbare Geschichte denn von ihm? Ihn hatte niemals weder ein toller noch ein anderer Hund gebissen, und im übrigen – wer konnte aller Menschen Leid mitfühlen wollen? Wog es nicht vielleicht noch schwerer als der Menschheit Sünden, die doch nur Gottes Sohn auf sich genommen hatte?
    Grübelnd blieb er stehen; aber es war ja auch kein Mitleid, das er fühlte, er hatte sich ja selber nur belügen wollen! Nein, nein, kein toller Hund; aber – jenes andere, was er nicht zu denken wagte, was er hinter sich in Nacht begraben wähnte! Wenn es wiederkäme – nach zehn, nach zwanzig Jahren? Oder – wer könnte wissen – vielleicht schon jetzt, noch eh der Herbst die Blätter von

Weitere Kostenlose Bücher