Werke
sie kaum hörbar und zeigte mit ausgestreckter Hand dahin.
Er schwieg; er wußte, das sei der Pestacker, wohin sie gewiesen hatte. – Ein Nachthauch kam und hob ihr dunkles Haar ein wenig von dem schmalen Antlitz und wehte das Gewand um ihren zarten Körper; ihm war auf einmal, als sei auch sie unhaltbar auf der Erde. »Wenn dort Eures Blutes einer ruht, so gönnet ihm die Ruhe!« sprach er zitternd.
Doch sie streckte die Arme aus und rief: »Mein Vater! Mein armer Vater! Wir werden nimmermehr vom Tod geheilet!«
»Das klang hart von Eueren jungen Lippen«, sprach der Mann.
Da wandte sie ihr Haupt und sah den Schmerz in seinen Augen. »Ich wollte Euch nicht Leid tun!« sprach sie bittend; »nur sagen: von all dem Sterben habe auch ich mein Teil behalten!« – und sie faßte wieder mit der Hand nach ihrem Herzen – »des Königs Arzt, der spanische Jude, ich hörte ihn einst zur Base sagen, es sei zu groß, ich könnte einmal so hingehen; starkes Leid und Freude könnte ich nicht ertragen. Und die gute Bas’, will sie mir liebtun, so sagt sie, ich hätte weiße Rosen auf den Wangen!«
Sie schwieg, und er antwortete ihr nicht; aber sie sahen sich in die Augen, und drunten aus der Tiefe schlug die Nachtigall. »Frühling!« sprach er leise und öffnete die Arme ihr entgegen. Da lag sie an seiner Brust, die Augen geschlossen, die Hände um seinen Hals gestrickt; und für die Worte, welche ihnen fehlten, sang die Nachtigall, als müsse ihr die Brust zerspringen – und nun ein Ton, lang ausatmend, ohne Ende. »Sie stirbt!« rief Dagmar, warf das Haupt zurück und schaute in des Mannes Augen. »Oh, kann man auch vor Liebe sterben?« – Er aber, in dem Törichttun der Minne, hob ihre leichte Last gegen den Silberschein des Mondes und küßte ihre Wangen: »O meine weißen Rosen! O heilige Jungfrau, beschütze mir mein ganz unfaßlich Glück!«
Da scholl vom Schlosse her das Klirren einer Pforte, und sie wand sich jäh aus seinen Armen. »Scheiden!« rief sie schmerzlich; dann nahm sie seine Hand, doch nur für eines Atemzuges Dauer. »Nein, fort! – fort!« rief sie in Schrecken. »Oh, vergiß nicht mein; ich müßte sterben!«
Sie fühlte einen heißen Kuß auf ihrem Mund; dann rauschte es in den Pappelzweigen, und sie war allein. Sie stand, als wäre sie nicht lebend; ihre Wangen waren blaß, von ihren Lippen aber schimmerte es rot: das war die Minne, die dort des andern Paares harrte. »O Herzliebe, o sehnende Not!« seufzte das Kind und sank auf ihren Sitz. »Und wie heißet er denn nun? – Er? Er –?« Und lächelnd antwortete sie sich: »Das weiß ich nicht – o heilige Jungfrau!«
Da kamen Schritte näher, und aus den Büschen sprach ein altes Stimmchen: »Nein, nicht dorthin; hier, Grete, hier bei dem Taxus! O heilige Mutter Gottes!« Und die Base in ihrem Marderpelz, den Kopf mit einem dicken Tuch vermummt, trat mit der alten Grete in den Mondschein hinaus. »Kind, Kind, wo bleibst du!« rief sie. »Muß deine alte Base dich suchen gehen!«
– »O Bas’, es ist so schön hier!«
»Und« – die Alte sah sich um – »du bist ja ganz allein; wo ist der Hund, der Heudan?«
»Der Hund?« sprach Dagmar hastig. »Ist der nicht hier?«
– »Ei, Kind, das mußt du ja doch selber wissen!«
»O Bas’, du hättest die Nachtigall nur hören sollen!« Und wie gerufen drang der Vogelschall von neuem aus der Tiefe, und das Mondlicht glitzerte auf den Blättern der Hülsen und den Nadeln des Taxus; von Düften schwamm es in der Luft. Einen Augenblick stand die Alte, das Ohr geneigt. »Ja, ja; du heil’ger Gott, das wäre ein Plätzchen für die Minne hier!« sprach sie murmelnd vor sich hin. »Vor Zeiten; ach, vor langen Zeiten!« Dann aber trieb sie zu rascher Rückkehr in das Haus, denn ein Abendwind hob sich und rauschte durch die Wipfel der Bäume.
Dagmar ging mit unhörbaren Schritten, da sie dem Gelaß vorbeikamen, worin sie Heudan, die Dogge, eingesperrt hatte.
»Morgen, mein Hund«, sprach sie leise gegen die verriegelte Tür; »ich hol dich früh!« Aber der Hund schien zu schlafen; es blieb alles still.
Und bald lag sie in dem schmalen Bettchen in der Kemenate der Base: aus dem großen Himmelbette scholl bald das gleichmäßige Atmen einer ruhig Schlafenden; von dem jungfräulichen Lager hob sich in dem zweifelhaften Mondlicht noch ein blasses Köpfchen, das schwarze Haar in ein weißes Seidennetz gehüllt. »O Mutter der Gnaden«, flüsterte das Kind, »ich habe sie beide belogen, Heudan
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