Werke
an einem Tischchen vor dem Fenster mit den Butzenscheiben, durch das der Abendschein hereinfiel; ihr gegenüber Dagmar, und beide mit einer heiligen Arbeit in den Händen; denn bei der letzten Firmelung hatte der Bischof dem Reliquienschrank der Kirche zu Haderslev eine Anzahl Schädelknochen der zehntausend Jungfrauen zum Geschenk gemacht, und die Alte wie die Junge waren jetzt damit beschäftigt, sie mit rotem und weißem Sammet und mit Goldstickereien zu überziehen.
Es war ganz still im Gemach; nur das Sticheln der Nadeln wurde hörbar und das eintönige Geräusch eines Dompfaffen, der in seinem Bauer innerhalb des Fensters unaufhaltsam auf und nieder hüpfte. Das junge Kind führte heute ihre Nadel nicht mit gewohnter Sicherheit, und die Blättchen hingen oft nicht richtig an den goldenen Ranken; sie schaute nach jedem zehnten Stiche hastig durch das Fenster, das nach Osten lag aber der Mond war noch nicht da. Ihr Atem wurde kürzer, in ihrem Innern war heute eine fremde Kraft, die ihr die Nadel aus der Richte stieß.
Endlich legte die Alte ihr besticktes Schädelstücklein auf den Tisch. »Fertig!« sagte sie. »Guck her, Dagmar! Ob wohl dieser Kopf im Leben solchen Schmuck getragen hat?«
Das Kind hatte nicht gehört: der Mond war eben über den Bäumen aufgegangen.
»Dagmar!« rief die Base. »Was ist dir? Du glühest ja wie Purpur!«
Mit verschleierten Augen sah das Mädchen auf die Alte.
»Du hast wohl in deinen Truhen gekramt, Bas’«, erwiderte sie; »es ist so schwüler Duft hier; es hemmet mir die Luft!«
Aber die Alte hatte ihr die Stickerei aus der Hand genommen und wiegte jetzt den Kopf, indem sie sorglich darauf hinsah. »Ei ja, Dagmarlein«, sagte sie, »du hast noch eine Kinderhand; aber doch nicht allemal so sehr! Ich sagt’s dir schon: was wollten deine Finger bei dem Totenbein! Schelle nach der Grete, daß sie die Kerze bringt; der Tag ist aus, und der da draußen« – sie zeigte mit ihrem mageren Finger nach dem Mond –, »der leuchtet nur Verliebten, aber nicht Kindern und alten Frauen!«
Ein heißes Rot schoß über das junge Antlitz; aber die Alte gewahrte es nicht. »So schelle doch, Kind!« wiederholte sie; »du kannst dann deinen Silbergürtel weitersticken! Ist der erst fertig zu dem weißen Seidenkleide, da wirst du aussehen wie die heidnische Diana; es fehlt nur noch der Silbermond an deiner Stirn!«
Sie bog sich über den Tisch und streichelte die zarten Mädchenwangen. »Wart nur ein Jährlein, Dagmar! Da nimmt dein Vater dich mit hinaus, nach Wordingborg, nach Kopenhagen! Da kommen die jungen Erdensöhne und werden um einen Blick der keuschen Göttin werben; auch einer, wohl so schön als wie der junge Ritter Lembeck, der letzthin auf Dorning eingezogen ist!«
»Auf Dorning?« frug Dagmar achtlos. »Der Ritter Klaus ist ja schon alt!«
– »Ei, Kind! Sein Sohn, sein ältester! Und mit einem schönen, stolzen Weibe; gar einer Schauenburgerin!«
»So? Einer Schauenburgerin?«
– »Ei freilich; aber doch nur einer Witib – ein Pfirsich, dran schon ein anderer seine Lippen setzte!«
»Pfui, Bas’! Aber ich kenne sie ja gar nicht; was kümmern mich die fremden Menschen!«
Dagmar war schon mit der Schelle an die Tür gegangen, kehrte aber zurück, ohne sie geöffnet zu haben. »Nein, Bas’«, sagte sie mühsam; »mir ist das Herz bedrückt; ich muß hinaus, in die Luft!«
– »Ei, Kind, es wird ja Nacht, und du weißt, der alte Joseph sagt, die Unholden schauen dann aus dem Boden!«
»Nur in den Garten, Base; da gibt es keine!«
Die Alte wurde unruhig; sie rückte an dem Kinntuch, das sie über ihr schwarzes Käppchen gebunden hatte. »Du weißt, sieh mich nur an!« sagte sie; »das dumme Kopfreißen; ich darf nicht in die Abendluft. Wenn dich was ankäme! Dein Vater ist in Wordingborg!«
»O Bas’, ich nehme Heudan, die Dogge, mit!« rief Dagmar beklommen; »sie war auch gestern abend bei mir!«
Die Alte nickte: »Ja, ja, Dagmar, die Dogge, ja, das geht! Du zogst ihr neulich auch den Dorn aus ihrer Tatze, wie Androklus dem Löwen! Du kennst doch die Geschichte?«
Sie sah sich um; aber da war Dagmar schon hinausgeschlüpft, und die Glocke stand wieder auf dem Tische. »Ei ja«, sagte die Alte seufzend, »da läuft sie mit dem Hunde in die Nacht hinaus, und ich kann hier im Mondschein meine lieben Schatten zu mir laden; wir brauchen keine Lichter!«
Der Nachtschein fiel durch die kleinen Scheiben; und mitten im Gemache saß die alte Dame und sah mit
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