Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
Vom Netzwerk:
entzündete sie an dem Lämplein, das noch brannte. »Für mein Letztes!« sprach er und trat wieder zu seinem Kinde; dann faßte er ihre feinen Hände und schloß sie um die brennende Totenkerze und legte die seinen sorgsam noch darüber, daß nicht ein Tröpflein heißen Wachses sie von ihrem letzten Pfad zurückschrecke. Still harrend saß er auf der Kante des Bettes; die neben ihm kniende Base sprach: »Gott hat dir ein Lichtlein geben; das leucht’ dir ins ewige Leben!« Und beide sahen, wie die Flamme von dem Odem der Sterbenden immer schwächer bewegt wurde. Da plötzlich flackerte die Kerze und erlosch; ein leichter blauer Qualm zog durchs Gemach. »Dagmar, mein Kind! O süße Dagmar!« rief der Mann; aber Dagmar hatte sanft ihr Haupt geneigt, und eine schöne Tote lag jetzt auf den Kissen. Die Base sprach: »Auf Wiedersehn in Gottes Himmelreich!«
    Der Schloßhauptmann, der die erloschene Kerze fortgelegt hatte, sah jetzt finster auf die Leiche seiner Tochter: »Sein Name war dein Letztes.« – Er ging zur Tür und schellte.
    Eine alte Dienerin war eingetreten. »Meine Tochter Dagmar ist nicht mehr auf Erden«, sprach er und schwieg dann plötzlich; das Knochengespenst des Todes, der ihm sein Kind genommen hatte, stand vor seinem inneren Auge, aber statt des nackten Schädels trug es den schönen Kopf des jungen Ritters Lembeck auf den Schulterknochen. Und aus der lang verschlossenen Falte seines Herzens schoß der Jähzorn ihm ins Hirn und fegte es leer von Verzweiflung und Leid, die es erdrücken wollten. Und in ihm sprach es: ›Es soll geschehen; ich hab mein Wort gegeben; doch – umsonst, Rolf Lembeck, sei auch nicht der ärmste Tropfen deines Minneglücks!‹ Dann wandte er sich wieder zu der Dienerin: »Versteh mich, Sine, und künd es auch den andern: drei Tage lang, bis ich euere Zungen löse, geht über den Tod nicht Kunde aus unseren Mauern! Das Zügenglöcklein soll nicht läuten; bestelle mir sogleich Ambrosius, meinen alten Diener; laß den Priester in meinem Gemache unten mich erwarten!«
     
    Im Hofe zu Dorning saß gegen Abend des nächsten Tages der Ritter Rolf Lembeck unter der Burglinde. – Er war allein; noch am Tage seiner Rückkunft, als vorher die Pappel und sein Glück gefällt worden, hatte Frau Wulfhild eilig nach ihrem Hof in Holstein müssen: zwischen Meier und Gesinde, so hatte sie gesagt, sei Unfriede ausgebrochen und die Gegenwart der Herrin nötig worden. Aber es lag wohl Tieferes am Grunde; im Augenblick der Abreise hatte Rolf einen Zug wie von versteinertem Entsetzen in ihrem Antlitz wahrgenommen; die Leidenschaft zu ihrem Eheherrn schien völlig ausgelöscht. Nach ihrer Abfahrt hatte der Junker Bookwald ihm geplaudert: es heiße, Hans Pogwisch, des Ritters Vorwirt, sei nicht durch seine Wunde, er sei durch Gift vom Leben in den Tod gekommen; so werde in der Gesindestub geredet; woher es komme, wisse er nicht; als aber die Schürzenmagd es an die Frau vertragen, sei die zum Tod erschrocken worden und habe ihr zornig Schweigen auferlegt, was doch nicht habe helfen wollen.
    Darüber grübelte der Ritter, und seine Augen folgten achtlos, wie der Abendschatten allmählich den Brunnen und den ganzen Hof bedeckte. »Darum auch!« sprach er leise; »sie wollte keinen mit sich haben; nicht mich, nicht Gaspard – den am wenigsten!« – Dann flogen die Gedanken mit ihm nach dem Inseldorfe Borgsum; was er mit seinem Vater dort am Bau geredet hatte, kam ihm zurück: er hörte wieder das Lachen des alten Herrn bei der Geschichte von dem Orlamünder: »Geduld, mein Sohn! Was dies Weib dir wert ist, wirst du erst sehn, wenn dich der Däne überfällt! Und – mit den Schauenburgern muß man sachte gehen!« Als aber der Tod des Pogwisch dann zur Sprache kommen, war er still geworden; einen Stein hatte er vom Boden gehoben und in den Bau geworfen. »Herrin auf Dorning und eine Gifthexe?« hatte er überlaut gerufen. »Nein, Rolf, das soll sie nicht, und wenn sie des großen Carol Tochter wär! Ich helfe dir, mein Sohn; aber – Geduld! denn stumpfe Pfeile erlegen dir kein Wild!«
    Er fühlte noch, wie ihm der Atem derzeit bei diesen Worten frei geworden, wie lind die Nachtluft durch sein Haar gestrichen, da er sie später und vergebens ihr entgegentrug. – Leis und in Qualen rief er ihren Namen.
    Es dunkelte mehr und mehr, und der Ritter war aufgestanden, um in die Burg zurückzugehen; da drang ein dröhnender Ton vom Außentor herein, das schon geschlossen war; dort hingen

Weitere Kostenlose Bücher