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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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Als sie bei den Zinnen hinaustraten, stand der Hund und schaute wie verwundert vor sich hin: die Pappel, wo war sie denn? Dann wandte er den Kopf und lief plötzlich in Sprüngen ein Stückchen seitwärts auf die Mauer zu.
    »Dagmar?« rief der Ritter. »Du hier? so früh?«
    Sein Kind stand reglos an den Zinnen und starrte in die Tiefe: sie schien ihn nicht zu hören; ihre Händchen hielt sie übereinander auf die Brust gedrückt, als müsse sie den Tod gefangenhalten.
    »Dagmar!« rief er angstvoll. »Was ist dir? Bist du krank geworden?«
    Da wandte sie sich und sah ihn an.
    »Kennst du mich nicht? Ich bin’s, dein Vater!« rief er und zog sie mit sanften Händen zu sich.
    Ein Schrei entfuhr ihr: »Oh, er kommt nimmer wieder!« Dann brach sie in ihres Vaters Arm zusammen.
    Ratlos blickte er auf das schmale Antlitz: die Wimpern der geschlossenen Augen lagen ruhig auf den blassen Wangen; aber das Herz schlug so gewaltsam, als wollte es die kleine Brust zersprengen. Leis neigte er sich an ihr Ohr: »Dagmar, mein Kind, wer wird nicht wiederkommen?«
    Ihre Lippen regten sich, aber ein Wort war nicht zu hören.
    »Wer, mein vielliebes Kind?« wiederholte er. »Ich will ihn suchen helfen!«
    Da flog ein selig Lächeln über das blasse Antlitz. »Rolf!« hauchte sie; und noch einmal wieder: »Rolf!«
    »Weiter!« rief er hastig. »Wie weiter? Der Name läuft auf allen Gassen!«
    Aber sie vermochte nur leis den Kopf zu wiegen, als sei das alles, was sie wisse.
    ›Rolf? Wer ist Rolf?‹ frug sich der Ritter. Zorn gegen den, der seinem Kinde das getan hatte, brauste betäubend in ihm auf; aber er durfte jetzt nicht schelten, was sie liebte: ihr Leben hing daran. Des Schreibers Gaspard Nachricht tauchte in ihm auf; ein Junker, ein ritterlicher Mann doch mußte es gewesen sein! Da schlug ein furchtbarer Gedanke ihm durchs Hirn. »Dagmar«, sprach er bebend, »besinne dich! Nicht wahr, er trug einen Rock, einen Gürtel mit Stickereien? War kein Wappentier, zahm oder Gewild, darauf gestickt?«
    Er starrte lang vergebens auf ihr Antlitz; dann bewegten sich ihre Augen unter den geschlossenen Lidern. »Ein Geier!« sprach sie leise.
    Wie von jähem Stoß getroffen, fuhr der Ritter auf. »Rolf Lembeck!« schrie er. »Verfluchter! Das gilt dir deinen Tod!«
    Das Kind aber schlang die Arme fest um seinen Hals. »Vater! mein Vater!« schrie sie. »Oh, ich sterbe!«
    Der Augenblick, den des Königs Arzt vorhergesehen hatte, schien gekommen. Zwiefach gespitzt hatte der Pfeil ihr Herz getroffen; sie sprach nicht mehr; erbarmungslose Gichter warfen den jungen Körper in ihres Vaters Armen hin und wider.
    Still trug der Ritter sein Kind ins Schloß zurück; Heudan, die Dogge, folgte mit gesenktem Haupt.
    »Mariä Heimsuchung!« murmelte der Mann. »O heilige Mutter, nimm mein Kind in deinen Schutz!«
    – – Aber die Mutter Gottes war nicht die Hüterin der Minne. Ein Bote auf schnellstem Rosse ritt nach Schleswig, um einen sicheren Medicus zu holen; inzwischen legte die Base mit zitternder Hand kühlende Binden um das Herz des Kindes, und ein Chirurg aus Haderslev ging ihr dabei zu Hülfe; am Fuß des Bettes stand der Schloßhauptmann. »Die Tränen helfen nicht!« sprach er leis und biß die Zähne aufeinander.
    – – Als aber die Dämmerung herabfiel, brachen jenseit des Gartens junge mutige Schritte aus dem Holz hervor; doch sie stockten plötzlich, da sie den Waldesrand erreichten. Es war lautlose Stille weit umher; nur eines war anders, als es sonst gewesen: im Wege vor des Anschreitenden Füßen lag der gestürzte Baum, und droben über der Mauerzinne, wo sonst die Pappelblätter flüsterten, stand jetzt die leere Luft.
    Dem drunten mochte bald wohl alles anders erscheinen denn statt des dunkeln Köpfchens mit dem Silberreife sah er plötzlich die Gestalt eines starken Mannes dort oben an der Mauer. »Rolf Lembeck!« hörte er es wie im Traume herunterschallen;
    ihm war, als führe die Hand des Mannes nach dem Schwerte; es kümmerte ihn nicht, es war nur wie Gespensterspiel vor seinen Augen. Wie es geworden, wann er von dort gegangen sei, er wußte später nichts darüber.
    – – An manchem Tage noch, im Mondlicht und im Sonnenscheine, stand Rolf Lembeck unten an dem Waldesrand. Die Tage wurden kürzer, der September begann das Laub zu färben, und nur Krähen und Falken schrien noch im Walde; aber fortan sah er droben nie ein anderes als die kahlen Mauerzinnen, und kein Weg, keine Kunde war zwischen ihm und ihr.
    Das waren

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