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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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der Lärm hörte auf, und wir sprachen weiter nicht davon.
    – – Einige Tage später, da ich von dem Jungen nichts mehr gemerkt hatte, frug ich über unseren Zaun den Armenvater, der einige Weiber bei der Arbeit in seinem Garten überwachte: »Nun, wie geht es mit Ihrem neuen Alumnen?«
    »Wen meinen Sie?« frug der Mann zurück und sah mich wie unwissend an.
    »Wen sollte ich meinen? Natürlich den Riew’schen Jungen; ich weiß nicht seinen Namen.«
    »Oh, der! Der sitzt schon längst wieder im warmen Nest; der beerbt den Alten noch bei lebendigem Leibe. Ich hätte ihn nur behalten sollen!« fügte er mit einer entsprechenden Handbewegung hinzu.
    Ich dachte an das zarte Gesicht des Knaben und sprach zu mir selber: ›Es ist doch besser so.‹
    Es war schon in den letzten Tagen des Oktober, als ich eines Nachmittags wieder an dem Rieweschen Garten entlangging, wo der Zaun jetzt freie Durchsicht ließ; auch war dort heute wirklich was zu sehen, denn oben im Geäste eines großen Birnbaums hing der hübsche Knabe und langte mit ausgestrecktem Leibe nach ein paar goldgelben Birnen, die noch an einem fast blätterlosen Zweige hingen. Unter ihm am Stamm sah ich einen untersetzten Mann, der mir seinen breiten Rücken zuwandte; nur seinen weißen, seitwärts abstehenden Backenbart konnte ich außerdem gewahren. »Zum Teufel, Rick, so komm herunter!« rief er; »das ist kein Mastkorb, worin du arbeitest!«
    »Wart nur, Ohm!« erwiderte der Knabe; »ich krieg sie gleich, die allerletzten sollen doch nicht sitzenbleiben!« Und er reckte sich stöhnend noch ein Stückchen weiter.
    »By Jove! Du brichst dir um zwei Birnen noch das Genick!« Und der Alte griff in die Tasche und schien ihm eine kleine Münze hinzuhalten. »Komm herunter und kauf dir welche! Der Schuster hat dieselben.«
    Der Junge aber hörte nicht danach; er suchte droben den Zweig, woran die Birnen saßen, zu sich heranzubiegen. Ich stand in plötzlichem Besinnen; auch die alte Stimme war mir bekannt. Eine untersetzte grauhaarige Gestalt aus meinen Hamburger Schülerjahren tauchte vor mir auf, daneben ein Kinder-, ein Mädchenangesicht. ›Wenn er es wäre!‹ dachte ich bei mir selber; ›und Riewe heißt er, vielleicht John Riew’!‹
    Da hörte ich einen Krach, und als ich aufblickte, sah ich es vor mir durch die Luft zur Erde fahren; ein gebrochener Ast baumelte oben von dem Baum herab; es war kein Zweifel, der Junge war herabgestürzt. »Man hat noch den Tod von dir!« schrie der Alte. »Sind denn die Planken heil geblieben?« Und gleichzeitig hatte er sich gebückt und wollte dem Jungen auf die Beine helfen.
    Der aber war schon aufgesprungen. »Tut nichts!« sagte er, sich zuckend seine Hüfte reibend. »Unkraut vergeht nicht, Ohm!«
    Der Alte brummte etwas, das ich nicht mehr verstand, denn ich fürchtete, auf meinem Platz entdeckt zu werden, und hatte deshalb meine Wanderung fortgesetzt. Aber sein Gesicht war mir zugewandt gewesen, und ich wußte nun, es war mein alter Kapitän John Riew’, der sich dies Haus gebaut hatte. Noch jetzt blühten ihm seine guten roten Wangen, nur Bart und Haare waren weiß geworden; denn wohl achtzehn Jahre mochten verflossen sein, seitdem wir uns zuletzt gesehen hatten. Damals aber – es war zur Zeit meiner Selektanerschaft auf dem Johanneum zu Hamburg – hatten wir fast täglich uns gesehen; denn dort, unweit des nun verschwundenen Kaiserhofes, an dessen reich ornamentierter Fassade mein Schulweg mich vorüberführte, wohnten wir beide als einzige Mieter in einem zweistöckigen Häuschen, das zwischen himmelhohen Speichern aus alter Zeit zurückgeblieben war. Unsere Wirtin war eine Schifferwitwe, deren trunkfälliger Mann im Rausch durch einen Unfall sein Leben verloren und seiner Frau wohl kaum anderes als den kleinen Fachbau hinterlassen hatte, in welchem ich eine Stube unten neben der Haustür innehatte. John Riewe, damals schon ein ergrauter Mann, bewohnte oben die einzige Etage, und so eines Sommerabends, auf der Bank vor der Haustür, hatten wir Bekanntschaft gemacht. Er war lange als Kapitän zur See gefahren; nach Rio, Hongkong, auch weniger fern nach Lissabon und London; kurz, er hatte mehr gesehen als wir studierten Leute und wußte davon zu erzählen. Endlich war er seemüde und dann hier Makler geworden. »Es ist kommoder«, sagte er, »den Sturm vom Bette aus zu hören.«
    Unsere Wirtin war eine einfältige Person: er mußte ihr in allem Rat erteilen, ja es war, als habe sie alles auf ihn abgeladen;

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