Werke
seine liebsten Noten, einen Ring von Linele – meine Augen flogen nur darüber hin. Ich lief zu den Freunden, wir umwanderten das Ufer des umwaldeten Sees, wir schoben mit unseren Stöcken die breiten Blätter der Wasserpflanzen auseinander, wir bogen jeden Busch zurück, aber wir fanden nichts. Noch am selben Abend benachrichtigten wir die Polizei, aber auch ihre Bemühungen, soweit sie solche angewendet, waren ohne Erfolg.
Zwei Tage später war ein Sonntag; Franz und ich waren aus der Stadt gegangen und allmählich, und wie selbstverständlich, an den Vogelsangsee gekommen. Wir sprachen von Marx, wir dachten in diesen Tagen an nichts anderes. Hatte er uns nur täuschen wollen, um allem, was ihn hier bedrängte, gründlich zu entfliehen, oder hatte er wirklich vor sein Leben selbst den schwarzen Strich gezogen? Wir erörterten es mit allen Gründen aus der Sache und seiner eigenen Persönlichkeit.
Es war einer der allerletzten schönen Spätherbsttage; die letzten Vögel, sogar noch einzelne Drosseln huschten zirpend und krächzend durch die Büsche, während wir am Ufer hingingen. Ein Eichhörnchen, das auf dem Erdboden an uns vorüberlief und dann in den durchfallenden Sonnenlichtern sich von Baum zu Baum schwang, lockte uns in den Wald hinein; wir sahen nur nach dem behenden Tierchen, indem wir ihm voll Eifer folgten, und so gerieten wir immer weiter durch Hülsen und Ranken, einmal durch fast mannshohes Farrenblattwerk. Die Bäume wurden immer mächtiger und der Wald düsterer; zuletzt, als eben das Tier in einem noch dichten Buchenwipfel uns entschwand, standen wir in einem uns noch unbekannten feuchten Grunde, wo die hohen Laubkronen fast keinen Sonnenstrahl zur Erde ließen; es war totenstill, fast andächtig schauten wir uns um, da rührte Franz an meine Schulter. »Du«, sagte er leise, »sieh einmal nach jener Eiche, es ist der neunte Baum nach dieser Buche hier! Unten am Stamme, auf den dicken Wurzeln – sitzt da nicht einer?«
Es kam mir auch so vor, aber bei meiner Kurzsichtigkeit konnte ich Bestimmtes nicht erkennen.
Franz war einige Schritte vorwärts gegangen.
»Marx!« rief er freudig und rannte eilig weiter; dann aber erscholl ein Schrei, der mir durch alle Glieder zitterte.
Ich wußte wohl, daß Franz es war, der so geschrien hatte, und fast ohne Besinnung war ich auf ihn zugerannt.
Da stand er und starrte mit entsetzten Blicken auf den, der da am Stamm der Eiche stumm und unbeweglich, mit halboffenen Augenlidern vor ihm saß, und griff, wie um einen Halt zu finden, rückwärts nach meiner Hand. »Er ist tot!« sagte er dann.
Es war freilich Marx; aber wir standen nur vor seiner Leiche, und die Fliegen und Ameisen des Waldes liefen geschäftig auf seinen Händen, auf seinem bleichen toten Angesicht; die rechte Hand war auf die Wurzeln des Riesenbaumes hinabgesunken; dicht daneben lag ein Terzerol, das wir früher nicht bei ihm gesehen hatten, und als ich es aufhob, sah ich, daß es abgeschossen war. Er hatte seine schwarzen Sonntagskleider angezogen, die er sonst so sorgsam in dem Schrank seiner Wirtin zu verschließen pflegte; er hatte anständig aus der Welt gehen, er hatte dem Konservatorium keine Schande machen wollen.
Franz wies mit ausgestrecktem Finger auf ein kleines Loch in seiner Weste, wovon ein dunkler Streif in seinen Schoß hinabging. Er hatte sich mitten durch das Herz geschossen.
Franz wollte gehen: »Es hilft nichts, wir müssen Anzeige machen!«
Aber ich hielt ihn zurück: »Noch ein paar Augenblicke allein mit unserem Freund! Es ist hier wie in einem großen leeren Dom, und das ist unsere allerletzte Versammlung!«
Wie lange wir noch bei ihm gewesen, weiß ich nicht; aber ein Rabe, der über uns aus dem Wipfel schrie, schreckte uns auf, und so gingen wir zur Stadt zurück und taten, was uns jetzt noch oblag.
Die Eltern waren durch mich von dem Verschwinden des Sohnes schon benachrichtigt; ich hatte nun ein Telegramm folgen lassen.
Und dann haben wir ihn begraben; das Gefolge war nur klein, aber der gute Professor war doch auch darunter. Als der Sarg hinabgelassen, die Schaufelwürfe darauf gefallen waren und die Folger sich zerstreut hatten, stand ich noch an der halb zugeworfenen Grube, als ein leises Schluchzen zu mir drang. Wie ich mich umblickte, sah ich das Linele seitwärts hinter einem Monumente stehen, und ich ging zu ihr und faßte schweigend ihre Hand.
»Daß so was über mi komme mueß!« sagte sie weinend, »und i hab doch net anders
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