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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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Chaussee noch Bahnzug; unser Wochenwagen, in dem wir wie die Heringe zwischen Ballen und Kisten verpackt waren, rumpelte auf dem verruchten Knüppeldamm, daß wir mitten auf dem Weg noch beide Stengen brachen; und so war’s schon gegen zehn Uhr abends, da wir endlich in Hamburg einfuhren. Hundsmüde stieg ich sogleich die Treppe nach meinem Quartier hinauf, und im Augenblick kam auch das alte Riekchen hintennach. »Nun, seid Ihr es?« frug ich.
    »Ja, Onkel John; Ihr seid wohl müde? Soll ich Euch was zu essen machen, oder eine heiße Tasse Tee, oder ein Glas Grog? Das nehmt Ihr heut wohl lieber?«
    »Nein, nein, Alte; geht nur und grüßt die Anna, wenn sie noch die Augen auf hat! Ich muß schlafen.«
    Die Alte murmelte etwas und ging; ich kroch in meinem Alkoven unter die Decke, hörte noch, wie es von Michaelis elf schlug und wie der Wind aufkam und zwischen die losen Dachpfannen fuhr, dann hörte ich nichts mehr. Wie lange ich geschlafen, weiß ich nicht, aber es mußte mitten in der Nacht sein – mir träumte, ich fahre auf einem kleinen Schmack durch die norwegischen Schären, und ein Windstoß schlägt das Fahrzeug gegen einen Felsblock –, wie von einem Ruck fahr ich in die Höhe, und auf einmal fühl ich, ich liege in meinem Bett und will mich eben behaglich wieder in mein Deckbett wickeln, da ruckt unten vor der Haustür ein Wagen auf dem Steinpflaster, ein Kutscher klatscht mit der Peitsche und stößt einen Fluch über seine unruhigen Pferde aus; eine Art Getümmel ist dabei, als würde einer vom Wagen herabgehoben.
    Da fiel’s mir plötzlich ein: ›Warum, als du heimkamst, war die Anna denn nicht da? Und die Alte, sie war um dich herum, als wollte sie das Mädchen dich vergessen machen; am Ende ist heut der Musterball!‹
    Ich war aus dem Bett gesprungen und lief ans Fenster. Aber die Unruhe hatte sich schon ins Haus verloren, und ich sah nur noch, wie ein großer Herr im Mantel in den Wagen sprang.
    »Vorwärts, Kutscher!« rief er, und mit Gepolter rasselte das Gefährt davon.
    Mit selbigem kam es auch schon die Treppe zu mir herauf, daß ich mir kaum die Notdurft über den Leib ziehen konnte und wieder stand die Alte, aber mit einem wahren Jammergesichte, vor mir.
    »Nun, Riekchen«, rief ich, »was ist denn das für eine Komödie?«
    »Ach, Onkel John, scheltet nur nicht! Der Herr Baron hat sie selber vom Ball zurückgebracht; aber sie ist krank geworden beim Tanzen, ohnmächtig, ganz ohne Besinnung; ach, Onkel John, schier wie eine Leiche sieht sie aus! Die alte feine Frau, die mitkam, ist noch unten, aber sie weiß ja hier doch nicht Bescheid.«
    »Da soll ich wohl den Doktor holen?« frug ich.
    »Ach, wenn Ihr wolltet, Onkel John?«
    »Hol der Teufel Euere Bälle und Barone!« rief ich; »aber geht nur hinunter zu dem armen Kind!« – Ich hatte mich schon völlig angekleidet, nahm meinen Hut und lief hinaus.
    Bald war ich auch am Doktorhause und klingelte den alten Doktor Snittger aus den Federn, der nur eine Straße von uns wohnte und mir vor Jahren einmal das Marschfieber vertrieben hatte.
    Er war sogleich auch diesmal bei der Hand und fertig. »Sorget Euch nicht, Kapitän«, sagte er, als wir miteinander die Gasse wieder hinaufgingen; »ja, wenn’s ein Mann wäre! Aber bei den jungen Frauenzimmern, da ist’s meist erschreckender als schrecklich!«
    Als wir ins Haus getreten waren, ging der Doktor unten zu den Frauen, ich in mein eigen Zimmer und wanderte, Gott weiß wie lange, auf und ab. Da endlich hör ich unten wieder die Stubentür knarren und das Riekchen auf dem Hausflur mit dem Doktor klönen. Als ich die Treppe hinabsteig, ruft er mir noch zu: »Alles in Ordnung, Kapitän; wir können schlafen gehn!« Und somit ist er zur Haustür hinaus und das Riekchen zur Stubentür hinein und alles still und dunkel.
    Also ich auch wieder hinauf in meine Kabine und schlafe bis in den Tag hinein. Da vernehm ich auf einmal aus meinem Alkoven, daß drinnen im Zimmer mein Kaffeegeschirr auf den Tisch gesetzt wird, und noch halb im Schlaf rief ich: »Bist du es, Anna?«
    Ich fuhr ordentlich zusammen, als es von drinnen antwortete : »Ja, Ohm.« Aber es war, by Jove, ihre Stimme.
    »Komm doch, mein Kind!« rief ich wieder, »und sag mir guten Morgen!«
    Und als sie nun kam und die Alkoventüren zurückschlug, die ich wegen des Straßenlärmes meist geschlossen hatte – Herr, wie war ich erschrocken, da der Morgenschein auf das junge Gesicht fiel! – Zerstört, ja ganz zerstört schien es mir; ich

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