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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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suchte darin nach etwas, und ich wußte nicht, wonach; die roten vollen Lippen schienen wie zum Spott daraus hervor.
    »Guten Morgen, Ohm!« sagte sie kaum hörbar; aber ihre Hände zitterten, womit sie mir die volle Tasse reichte, daß ein Teil mir auf das Deckbett floß.
    »Kind! Anna!« sagte ich und faßte ihre Hand; »wo bist du gewesen? Du hast ja arge Havarie erlitten!«
    Sie antwortete nicht; sie zitterte nur noch stärker, und als ich in ihre sonst so fröhlichen Augen sehen wollte, schlug sie sie nieder oder wandte sie zur Seite.
    »Anna; Anna!« sagte ich, »du gehst mir nimmer wieder auf diese Bälle!«
    Da mußte ich nach der Tasse greifen, denn sie wollte die Hände über ihren Kopf erheben. »Nein, Ohm!« schrie sie, »nie – nie wieder!« Ihre schlanke Gestalt wollte sich aufrichten; aber sie sank wie ohnmächtig an meinem Bett zusammen.
    Ich hatte meine Hand auf ihren Kopf gelegt. »So ist es recht, mein Kind«, sagte ich; »nun gräme dich nur nicht; ich gehe mit dir, wohin du willst! Und wenn’s erst Sommer ist, dann reisen wir zu meinem alten Ohm, der auf dem Lande wohnt! Da sind große stille Stuben und draußen Wald und grüne Wiesen!« By Jove! Ich hatte die Marder ganz vergessen!
    Sie hatte meine Hände an ihre Stirn gepreßt und nickte ein paarmal leise, ohne aufzusehen; dann aber richtete sie sich empor. »Laß mich nun, mein Ohm«, sprach sie freundlich, »ich muß nach unten.«
    Sie ging, und ich blieb, ohne meinen Kaffee anzurühren, noch lang auf meinem Bette; ich wußte in der Sache mich nicht zurechtzufinden.
     
    Einige Zeit verging; das Aussehen des Mädchens wurde freilich besser, aber innerlich war das Kind verwandelt. Wenn sie sonst um Mittag so fröhlich unten an der Treppe rief: »Ohm, Ohm John! Serviert!« – du lieber Gott, wie träg und öde klang das jetzt! Mir war auch, als ob ihr Angesicht allmählich sich verändre: sie hatte sonst noch immer wie ein Kinderspiel um Mund und Wangen; das war wie weggeblasen.
    Es ging mir arg im Kopf herum; von dem Herrn Baron war nicht der Zipfel seines Rockes mehr zu sehen, und als ich zu dem alten Riekchen davon sprach, erhielt ich zur Antwort, der Herr Baron habe auf seine Güter in Mecklenburg müssen und komme erst im Sommer wieder; das Mädchen aber, das daneben stand, wurde bei dieser Rede wie mit Blut übergossen und ging rasch zur Tür hinaus.
    ›Ei‹, dacht ich, ›liegt da der Has’ im Pfeffer? Sind die Gedanken unsres Kindes noch immer bei dem konfiszierten Kerl?‹ Und es fraß ordentlich in mir.
    – – Wieder waren ein paar Monate vergangen, als ich an einem Spätnachmittage im März, da schon das Dunkel in die Häuser kroch, von einem Geschäftsgange zurückkam. Als ich am Laden vorüber wollte, sah ich durch das Guckfenster, daß dort die Lampe noch nicht brannte; aber, da ich stillstand, hörte ich drinnen jemand weinen. ›Mußt einmal revidieren!‹ sagte ich zu mir und ging hinein. Da fand ich die Anna in einer Ecke auf dem Ladentritt, mit beiden Händen vor den Augen. »Bist du es, Anna?« frug ich. »Wo ist deine Mutter?«
    »Ausgegangen«, erwiderte sie leise.
    »Aber du mußt ja die Lampe anzünden!«
    Sie stand langsam auf, und als die Lampe brannte, sah ich dicke Tränen über ihre Wangen rinnen.
    »Bist du krank, Anna? Oder fehlt es dir sonst?« frug ich, während sie sich abwandte und die Fenstervorhänge herabließ.
    Sie schüttelte nur den Kopf.
    »Aber was ist denn? Warum weinst du?«
    »Ich weiß nicht, Ohm; es kommt nur manchmal so.«
    Da ergriff ich sie bei beiden Händen: »Du sollst mir standhalten, Kind! Nicht wahr, du härmst dich nach deinem Tänzer, nach dem Baron, der jetzt auf seinen Gütern ist?«
    »Nein, nein, Ohm!« rief sie heftig.
    »Nun, was ist’s denn? Kannst du’s deinem alten Ohm nicht sagen? Wir wollen sehen, daß wir Hülfe schaffen!«
    Aber ich sah nur, daß ihr die Tränen reichlicher aus den Augen rannen: »Ich kann nicht!« Und sie stammelte das nur so. »O lieber Gott! die Angst! die Angst!« schrie sie dann wieder.
    »Aber so sag dir’s doch vom Herzen! Kind, wirf den Ballast über Bord! Oder, wenn nicht mir, so sag es deiner Mutter!«
    Sie starrte mit ihren schmucken Augen vor sich hin, als ob sie in ein schwarzes Wasser sähe, und sagte rauh: »Nein, nicht der, nicht meiner Mutter.«
    »Versündige dich nicht«, sprach ich; »du hast ja nur uns beide auf der Welt!«
    Da warf sie sich auf die Knie und schrie: »Mein Vater, o mein guter Vater! Ich will zu dir!«
    Und

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