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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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Mamsellchen wieder, und sie tranken ihren Kaffee und lasen den Brief zu Ende; und als das alte Dämchen sich empfahl, erbat sie sich und erhielt noch die Erlaubnis, im nächsten Frühjahr zwei Suppenkräuterbeete zu gemeinschaftlichem Gebrauche in dem Garten anzulegen.
    Der Meister Daniel aber ging schrägüber zum Barbier, dann glattrasiert ins Stift zu seiner alten Schwester, und Salome blieb, während er ihr den Brief vorlas und noch lange nachher, ganz wach und munter; sie saß in ihrem Lehnstuhl und er dicht an ihrer Seite, und die Hände der alten Geschwister ruhten in stummer Freude ineinander; nur mitunter sagte sie: »De Jung! De Jung! He kann wat, und dat in Amerika!«
    Als Daniel am Abend heimkam, faßte er den Entschluß, dem Dompfaffen das Stück noch weiter vorzupfeifen. Was sollte Fritz sich wundern, wenn er nach zwei Jahren ihn so singen hörte!
    Das war ein Freudentag in Meister Daniels Leben; aber er wiederholte sich nicht, der Winter kam, aber kein Brief von Fritz, und je weiter es in die Zeit hineinging, desto schwächer wurde der Schimmer jener Freudenflamme, und desto dunkler wurde es um den einsamen alten Meister.
     
    Als nach ein paar Jahren die Krokus im Schloßgarten blühten, trat ein einfacher Leichenzug aus dem Tore des St.-Jürgen-Stiftes: ein Kränzchen von Primeln und Immergrün lag auf dem Sarge, ein alter Mann ging zunächst hinter demselben; er ging etwas stumpelig, und auf seinem Antlitz mit den schlohweißen Augenbrauen zuckte eine unruhige Trauer. Es war wohl nicht um die Tote, die er auf ihrem letzten Weg begleitete, denn sie hatte in mählich verdämmerndem Bewußtsein das äußerste Lebensziel erreicht; aber der alte Mann hatte jenseit des Meeres einen Sohn, sein einzig Kind, und er wußte seit lange nichts von ihm; die Tote aber war die Letzte gewesen, die aus ihren Träumen noch nach ihm gefragt hatte.
    Der alte Mann war Daniel Basch, der seine Schwester Salome begrub; den kleinen Kranz hatte seine Mieterin, das gute Riekchen, gebunden. »Das ist unser Altjungfernrecht«, hatte sie gesagt; »ohne Kranz nicht zu Tanz!«
    Der Zug ging Schritt für Schritt die Straße hinab nach dem zweiten Kirchhof am Nordwestende der Stadt, wo Daniels Familiengrabstätte lag. Als er dort an die offene Grube trat, sah er in derselben die Seitenbretter eines morschen Sarges aus der Erde ragen; seine Hand zuckte, als ob er etwas fassen müsse; er kannte den Sarg, es war ihm fast als wie ein schrecklich Wiederfinden. Dann wurde der frische Sarg hinabgelassen, und die hinabgeschaufelte Erde dröhnte auf dem Deckel; Daniel nickte noch einmal in die Grube, und während der alte Propst das Vaterunser sprach, murmelte er leis für sich: »Dein Wille geschehe im Himmel und auf Erden!«
    Erst als er wie betäubt nach Hause ging, ergriff ihn ein jäher Schmerz um seine alte Schwester, daß er nur mit Gewalt einen Tränenausbruch zurückdrängte; er war nun ganz verlassen.
    Als er in seinem Hause nach der Giebelkammer hinaufstieg, stand er mitten auf der Treppe still: er hörte den Vogel in der Kammer pfeifen. Das hatte er freilich schon tausendmal gehört; aber heute kam es so frisch, ganz wie ein Frühlingsruf aus der kleinen Brust herauf; Meister Daniel erklomm die letzten Stufen und brummte zur Begleitung die Worte der Melodie. Aber was war denn das? Der Meister hatte, an dem Erfolg verzweifelnd, in den letzten Wochen seinen Unterricht ganz aufgegeben; immer hatte der Schüler nur gestümpert; und jetzt – jetzt sang er alles: womit ihn Fritz ins Haus gebracht, was dieser ihn gelehrt und was zuletzt der Meister selbst ihm vorgepfiffen hatte. Die unerwartete Freude hatte dem Alten wohl den Kopf verwirrt, denn er wandte sich wieder, faßte mit jeder Hand eine Stange des Geländers, und sich vorbeugend, rief er laut ins Haus hinab: »Fritz! Fritz! Nu fleut he ock de tweete Reeg!«
    Da öffnete sich rasch die Tür der unteren Wohnstube, und Mamsell Riekchen war auf den Flur hinausgehüpft. »Wer? Was flötet, Meister Daniel?« rief sie ängstlich.
    »Det Dompfaff! Det Dompfaff!« kam es von der Treppe herunter.
    »Ach, Sie und Ihr alter Dompapst!« rief Mamsell Riekchen und hüpfte in ihre Kammer zurück. ›Sonderbarer Mann!‹ sprach sie zu sich selber und schüttelte ihre beiden dünnen Locken; ›hat eben sein’ Schwester begraben und schreit um seinen alten Dompapst!‹
    Der alte Mann dort oben hatte sich auch besonnen; der Vogel zwar hatte seine Lektion gelernt; wo aber war der, den er gerufen

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