Wernievergibt
mehr im Hotel gewesen. Was kein Problem darstellte, das Zimmer sei ohnehin bis 22. April reserviert und im Voraus bezahlt. »Vermutlich besucht sie ihre Verwandten in Balnuri.«
»Danke.« Ich hängte ein. »Clara Cleveland steigt immer im Marriott ab, wenn sie nach Georgien kommt«, berichtete ich Juliane, während Sopo in der anderen Ecke des Frühstücksraumes am Handy schäkerte. »Sie ist eine alte und gute Kundin und niemand hinterfragt, wann sie kommt und geht.«
»Das ist der Nachteil der Anonymität«, sagte Juliane. Wir sahen uns grinsend an.
Wano tauchte auf und klapperte mit den Autoschlüsseln. Man sah ihm an, dass er Touristen gewöhnt war, die früh am Morgen aufbrachen.
Sopo tänzelte zu uns herüber. Ich sah Falten um ihre schönen Lippen, kleine, senkrechte Kerben. »Jemand ruft mich zurück«, tat sie geheimnisvoll. Sie hatte Mundgeruch. Als habe sie gestern Nacht eine Flasche Rotwein allein ausgetrunken.
Gute drei Stunden später krabbelten wir den steilen Felsenweg zum Höhlenkloster hinauf. In unseren bunten Allwetterjacken mussten Juliane und ich von oben aussehen wie exotische Riesenkäfer. Wir befanden uns in einem kargen Tal, das wir von Bordschomi aus über verschneite Bergsträßchen entlang zerklüfteter Hänge erreicht hatten. Außer ein paar Bauern mit ihren Fuhrwerken hatten wir ab Achaltsiche, der letzten Stadt auf unserer Tour, kaum jemanden auf der Straße gesehen. Kein Wunder. So hoch oben lag noch Schnee, Eisplatten machten die Fahrt zu einer Hatz. Wieder fühlte ich den verwirrenden Eindruck, die Erde unter meinen Füßen atmen zu
hören.
»Verdammt«, murrte ich. »In Tbilissi ist beinahe Sommer, und hier …«
Sopo hatte ihre High Heels gegen Wanderschuhe ausgetauscht, die drei Nummern zu groß wirkten. Sie kletterte vor uns den rutschigen Hang hoch. An einigen Stellen blieb uns nichts anderes übrig, als über dicke Eisflächen zu schlittern.
Trotz der Beschwernisse genoss ich die kurze Wanderung zum Höhlenkloster. Die Höhlen sahen aus, als hätte ein Riesenfinger sie in den Stein gedrückt. Sie waren in luftiger Höhe über mehrere Etagen verteilt in die senkrechte Felswand getrieben worden und über Treppen, Terrassen und Galerien miteinander verbunden. Der schmale Weg vom Parkplatz hinauf war an einigen Stellen von Handläufen gesichert. Trotzdem musste man höllisch aufpassen, wo man hintrat. Der Dauerregen hatte sich verabschiedet. Hier im Gebirge, hoch über der Baumgrenze, schien die Sonne von einem blauen Himmel. Ein eisiger Wind pfiff uns um die Ohren und befreite meinen Kopf vom Schnupfen und von der frustrierenden Erinnerung an unser verregnetes Quartier in Bordschomi.
Während wir hinter Sopo in die erste Höhle stapften und ich meine Kamera aus der Tasche zog, blubberten tausend unausgegorene Fragen durch meinen Kopf. Wer konnte überhaupt von unserem Ausflug nach Bordschomi und weiter nach Wardsia wissen? Niemand. Ich twitterte meinen Aufenthaltsort nie. Seit wir in Georgien waren, hatte ich überhaupt nicht mehr getwittert.
Nur halbherzig hörte ich Sopos Erklärungen zu. Von unserer Dolmetscherin war sie zur Reiseführerin mutiert, eine Aufgabe, die ihr sichtlich keinen Spaß machte. Ihre herablassende, huldvolle Art ging mir zunehmend auf den Keks.
»Früher waren die Höhlen von außen überhaupt nicht zu sehen«, sagte Sopo. »Die Türken sind hier eingefallen, aber die Mönche waren in den Höhlen in Sicherheit, weil die Eingänge von einer riesigen Steinplatte geschützt waren. Erst durch ein Erdbeben Anfang des 19. Jahrhunderts hat sich die äußere Platte gelöst und seither sieht man die Höhlen im Berg.«
Das Kloster strahlte Feindseligkeit und Bitternis aus. Hier schienen Gäste nicht willkommen. Der Mönch, der auf einer der Terrassen hoch über der Schlucht stand, sah uns griesgrämig entgegen. Sopo rief ihm etwas zu. Er antwortete mürrisch.
»Er zeigt uns die Kirche«, übersetzte Sopo.
Der Mönch bestand darauf, dass wir unsere Köpfe mit einem Tuch bedeckten, und wies auf eine Nische, in der Leihkopftücher auf Besucherinnen warteten. Sopo nahm ihren eigenen Schal. Ich konnte es ihr nicht verdenken.
»Wardsia konnte bis zu 50.000 Menschen aufnehmen«, dolmetschte Sopo, während der Mönch mehr mit dem Fußboden sprach als mit uns. »Zur Blütezeit unter Königin Tamara, um 1200, lebten hier 800 Mönche. Es gab ein ausgeklügeltes Rohrsystem für die Wasserversorgung und Windkanäle, die die Höhlenstadt mit Frischluft
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