Wernievergibt
versorgten.«
Ich besah mir die Fresken in der kleinen Kirche genauer. Trotz der Dunkelheit, die nur von flackernden Kerzen erträglich gemacht wurde, besaßen die Farben eine ungewöhnliche Strahlkraft. Ich fragte, ob ich fotografieren dürfte.
»No problem«, sagte der Mönch.
Kurz darauf führte er uns durch ein paar Höhlengänge auf eine höher gelegene Terrasse. »Sehen Sie, dort oben«, sagte er in passablem Englisch. »Das war früher die Apotheke des Klosters.« Ich erspähte eine inzwischen offen am Felshang liegende Höhle, deren Rückwand wie ein Regal in unzählige kleine Fächer eingeteilt war. »Leider sind die Rezepturen verloren gegangen.«
Juliane lehnte sich vorsichtig gegen das wacklige Geländer und ließ den Blick hinunter in den Canyon schweifen. Dabei ließ sie das Kopftuch von ihrem Haar gleiten und schickte es mit dem Wind hinab in die Tiefe. Ich grinste.
Wir klebten wie die Schwalben ein paar hundert Meter über dem schäumenden Mtkwari. Über unseren Köpfen schwebten zwei Glocken. »Ziemlich unwirtliche Gegend«, murmelte sie. »Was dagegen, wenn ich rauche?«
Der Mönch schüttelte den Kopf und sah gierig auf die Schachtel, die Juliane aus ihrer Jackentasche zog.
»Möchten Sie?«
Er nahm eine Zigarette. »Keine Touristen um diese Zeit.« Er inhalierte tief. Das verlorene Kopftuch erwähnte er mit keiner Silbe. »Die Saison fängt später an. Im Juni kriegen wir einen Triathlon. Dann ist alles belebt. Zeltplatz unten im Tal und so.« Fast schien es, als wolle er sich für die Abgeschiedenheit, in der er mit seinen Mitbrüdern ausharrte, entschuldigen.
»Kommt denn manchmal jemand zu Besuch?«, fragte ich. »Sie müssen sich schließlich mit Lebensmitteln versorgen.«
»Wir haben Vorräte. Giorgi aus Nakalakewi bringt uns ab und zu was vorbei.«
»Lesen sie eigentlich Zeitung?«
Er lachte und entblößte basaltschwarze Zähne. »Unsere Zeitung heißt Giorgi aus Nakalakewi. Der Gute bringt Neuigkeiten aus dem Tal, wobei hier ehrlich gesagt nicht viel passiert. Nur neulich«, er ließ den Blick über die Schlucht nach Norden schweifen, »haben sie nicht weit von Wardsia ein Autowrack gefunden. Da ist einer von der Straße abgekommen und gute 100 Meter in den Canyon gekracht. Das kann keiner überleben. Die Leiche war verbrannt. Nichts zu machen. Die wussten nicht mal, ob Mann oder Frau. Wir haben die sterblichen Überreste eingesegnet. Sobald der Boden nicht mehr gefroren ist, wird die Leiche bestattet.«
Sprachlos starrte ich ihn an. »Sie haben – was?«
»Was sollten wir denn machen? Auch unbekannte Unfallopfer brauchen Hilfe auf dem letzten Weg!«
Ich dachte an die verschwundene Clara Cleveland, an Mira, und ich hielt mich am Geländer fest, um das kalte Metall zwischen meinen Fingern zu spüren und damit eine Bestätigung, dass ich lebte.
»Wer hat den Leichnam entdeckt?«
»Giorgi. Fragen Sie den.«
Er nickte uns zu und verschwand in der Kirche.
»Der ist sauer«, stellte Juliane fest. »Du bist ihm ziemlich auf die Zehen getreten.«
»Womit eigentlich? Seinen Bestand an Kopftüchern hast definitiv du dezimiert.« Die nächste Windbö riss meine Bemerkung in Fetzen.
Wano kutschierte uns nach Nakalakewi. Sopo fragte nach Giorgi. Wenige Minuten später standen wir vor einem niedrigen Bauernhaus aus Beton. Jemand hatte ein weiteres Stockwerk hinzufügen wollen, offensichtlich aber schnell die Lust an den Baumaßnahmen verloren. Außer einer einen halben Meter hohen, aufgesetzten Mauer auf der einen Seite des Hauses gab es nichts. Nicht einmal ein Dach. Vor dem Wetter schützte einzig und allein die Decke des Erdgeschosses.
Der rundgesichtige Giorgi, der beim Lachen drei verbliebene Zähne zeigte, war Imker und lud uns zu Honig und Schnaps ein. Ehe wir es uns versahen, saßen wir in der guten Stube vor Tellern mit Kugeln aus goldgelbem Honig und einem klaren Gebräu aus Kräutern.
»Die Leiche habe ich am Samstag vor Ostern entdeckt«, berichtete Giorgi, während seine Tochter, eine pummelige Kleine mit Zöpfen und einem rosa Jogginganzug, jedem von uns eine dampfende Tasse Tee neben das Schnapsglas stellte. »Das heißt, zuerst habe ich nur das Wrack gesehen. Ich war mit unserem Soso unterwegs, unserem Pferd. Und der hat eine ganz feine Nase. Der Wagen war ausgebrannt, das muss der Soso gerochen haben.«
»Wo war das?«, fragte ich und kippte meinen Schnaps. Unerwartet mild rann er meine Kehle hinunter und hinterließ ein angenehmes Brennen.
»Ihr müsst
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