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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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zertrümmert kein Kartler, und wenn er noch so besoffen ist.
    »Will urig aussehen, wirkt aber künstlich«, zischte Juliane mir ins Ohr.
    »Darf ich Wein bestellen?« Der Mann setzte sich, zupfte an seinem Sakko. Seine großen, dunklen Augen blickten ernst, Traurigkeit hatte darin Einzug gehalten. Der Anzug saß schlecht. Er war andere Kleidung gewöhnt. Ich schob meine Tüten unter den Tisch.
    »Klar!«, sagte ich.
    »Mein Name ist Guga Gelaschwili und ich arbeite bei der Patrouille in Sagaredscho«, begann er, nachdem ein Kellner unsere umfangreiche und mehrere Minuten diskutierte Bestellung aufgenommen hatte. »Ich hatte heute inoffiziell bei den Kollegen in der Kostawa-Straße zu tun und hörte«, er schob sein Besteck hin und her, »dass Sie mit Kawsadse über Clara Cleveland sprachen.«
    Juliane trat mir unter dem Tisch ans Schienbein. Sag nichts!, sollte das heißen. Er wird von allein reden. Als wäre mir mein Gespür von Tausenden Gesprächen als Biografin abhanden gekommen! Menschen erzählten gern von sich. Sie brauchten nur die richtige Bühne, um sich sicher zu fühlen. Und dieser Guga Gelaschwili fühlte sich sicher. Das ulkige Restaurant ohne Gäste mit vier beschäftigungslosen Kellnern, die sich darum stritten, wer uns die Getränke bringen durfte, schien ihm ein Hort der Geborgenheit. Vielleicht lag es an dem engen Gastraum, den steinernen Wänden, die nur ein paar alte Fotografien von Tbilissi zierten. Abgeschiedenheit, ohne Blicke von außen.
    »Ich habe vor Kurzem einen Unfall untersucht. An der A 302. Sie führt von Tbilissi nach Kachetien. Direkt nach Osten. Wir hatten miserables Wetter. Schnee, Regen, alles durcheinander. Unfälle sind wir dort draußen gewöhnt, aber mit diesem stimmte etwas nicht.«
    Unfälle. Auf der Webseite des Auswärtigen Amtes wurde gewarnt, dass die Wahrscheinlichkeit, in einen Verkehrsunfall zu geraten, in Georgien außerordentlich hoch sei. Wegen der aggressiven Fahrweise und dem schlechten Zustand vieler Straßen. Meiner bisherigen, bescheidenen Erfahrung nach konnte man Letzteres vernachlässigen.
    »Was stimmte denn nicht?«, fragte ich, nachdem der Kellner Mineralwasser und Wein auf unserem Tisch abgestellt hatte. Juliane schenkte ein. Guga blinzelte irritiert.
    »Es gab keine Spur von einem Fahrer. Das Nummernschild war gefälscht, die Fahrgestellnummer weggefeilt. An einem Baum klebte Blut. Das war der einzige Hinweis, dass jemand verletzt wurde.«
    Ein Korb mit Weißbrot gesellte sich zu uns, Auberginen in Walnusssoße, Salat.
    »Mein Chef wollte nicht, dass ich mich weiter mit dem Fall beschäftige. Wir dachten zunächst, der Unfall könnte etwas mit Dealern zu tun haben. Drogen sind ein großes Thema bei uns. Aber der Spürhund hat nichts gefunden. Ich schon. Ein Tagebuch.« Er nahm eine Kladde aus der Aktentasche. »Und ich nehme an, dass es Clara Cleveland gehört.«
    Ich verschluckte mich am Brot. »Wie kommen Sie darauf?«
    Er schlug das Tagebuch auf. Die runden Buchstaben wirkten kindlich auf mich. Manchmal legten sie sich mehr nach rechts, dann wieder nach links, wie das Fell eines struppigen Hundes.
    »Sie schreibt über Perfektion, Musik und den Willen, aus allem auszubrechen.«
    Ich überlegte blitzschnell. »Sie meinen, Clara Cleveland saß in dem Wagen?«
    »Wie käme sonst das Tagebuch unter den Brombeerbusch, wo ich es aufgelesen habe? An der Stelle, wo der Wagen ausbrach und die Böschung hinunterstürzte?«
    »Wann genau war das?« Ich war so nervös, dass mir das frische Brot unter den Fingern wegkrümelte.
    »Am 30. März. Als wir zum Unfallort kamen, war die Situation so, wie ich sie Ihnen geschildert habe. Wagen demoliert, kein Mensch zu sehen.« Er nahm einen Schluck Wein. »Am nächsten Tag bin ich wieder rausgefahren, um mich umzusehen. Wir hatten kein Abschleppfahrzeug zur Verfügung, das Autowrack lag noch immer unterhalb der Straße.«
    Ich atmete tief durch und trank mein Weinglas in einem Zug aus. Am 30. März war Clara nach Sighnaghi aufgebrochen, jedoch nie bei Tamara angekommen. In meinem Kopf surrten die Leitungen.
    »Ist es denn überhaupt möglich, dass jemand den Unfall überlebt hat?«, fragte Juliane.
    »Ein Toter kann erst recht nicht weglaufen.«
    »Und wenn ein zweiter den Toten weggeschleppt hat?«
    Guga wiegte den Kopf. »Dafür haben wir keine Spuren gefunden. Ehrlich gesagt, es hat so geregnet in den letzten Märztagen! Der Regen hat alles, was es an Spuren gab, längst weggeschwemmt.«
    »Fingerabdrücke?«,

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