Wernievergibt
fragte ich.
Er lachte. »Für meinen Vorgesetzten handelt es sich nur um ein Autowrack. Wir haben eine Menge anderer Unfälle, Körperverletzungen, Diebstähle. Es bringt nichts, sich mit einem herrenlosen Opel zu befassen.«
»Nehmen wir mal an, Clara Cleveland saß in dem Wagen. Nehmen wir an, sie fuhr. Nehmen wir an, sie hatte den Unfall und lief – verletzt – davon. Vielleicht hat sie es nicht mehr weit geschafft und liegt irgendwo in der Pampa. Tot.«
»Meine Kollegen haben die Gegend abgegrast. Im Umkreis von vier Kilometern war nichts. Und weiter würde man nicht kommen, wenn man verletzt ist.«
»Eine gewisse Tamara hat bei Ihnen oder Ihren Kollegen von der Patrouille angerufen und angegeben, dass sie auf eine Freundin wartet.«
»Davon weiß ich nichts«, wehrte Guga ab.
Sopo murmelte etwas, und der junge Polizist wurde rot.
»Heute sind Sie nach Tbilissi gekommen, um diese Angelegenheit mit einem höheren Dienstgrad zu besprechen?«, intervenierte Juliane.
»Von wegen.« Guga reichte den Teller mit Schaschlik herum. Knusprige Fleischbrocken unter einem Hügel aus frischen Zwiebeln. »Ich möchte mich verändern. Möchte bei der Kriminalpolizei anfangen. Kawsadse ist der richtige Mann für Anfragen. Er hat mich sofort wieder weggescheucht. Sie haben keine offenen Stellen.«
»Sie kehren also zurück zu ihrer gefährlichen Straße mit den vielen Unfällen«, kommentierte Juliane sanft.
»Zufällig habe ich gehört, wie Sie über die Cleveland sprachen. Ich habe kaum fünf Minuten nach Ihnen das Gebäude verlassen. War nicht schwer, Sie zu finden. Da habe ich mich spontan entschlossen, mich Ihnen vorzustellen.«
»Wo ist das Autowrack?«, fragte ich.
»Auf dem Schrottplatz.«
»Und niemand hat Fingerabdrücke genommen?« Das Schaschlik schmeckte einmalig.
Guga schüttelte den Kopf. Ich musterte den Mann im Anzug. Einer, dem das Leben nichts geschenkt hatte. Er war jung. Vielleicht Anfang 30. Er schenkte mir Wein nach.
»Vorschlag«, sagte ich. »Sie gehen ins Marriott an der Rustaweli-Avenue und fragen nach Clara Cleveland. Gehen Sie in ihr Zimmer und nehmen Sie Fingerabdrücke. Sehen Sie zu, dass Sie den Wagen auf dem Schrottplatz zum Vergleich heranziehen. Dann hätten wir Sicherheit. Niemand fährt Auto, ohne dort seine Spuren zu hinterlassen.«
»Ich kann es versuchen«, sagte Guga skeptisch.
»Sie haben von Blut gesprochen«, meldete sich Sopo zu Wort. Ich hatte längst geglaubt, sie sei in höhere Sphären entschwebt und hätte uns nur ihr hübsches Gesicht zum Anschauen dagelassen. »Jemand, der verletzt wird, sucht einen Arzt.«
»Ich habe alle abtelefoniert«, wandte Guga ein. »Kein Arzt, keine Ambulanz hat eine verletzte Person zur fraglichen Zeit behandelt.«
»Heiler? Omas mit medizinischen Fähigkeiten? Tierärzte?«, hakte ich sofort nach. »Lassen Sie Ihre Fantasie spielen.«
Guga lachte. »Ich hatte eher gedacht, dass Sie mir helfen könnten.«
Juliane übernahm es, Guga knapp ins Bild zu setzen. Sie ließ den Einbruch in Bordschomi, von dem auch Sopo nichts wusste, weg, genauso wie meine Nacht mit Thomas und die eigentümliche Drohung. Die Leiche im Canyon in Nakalakewi dagegen schilderte sie akribisch, obwohl wir sie gar nicht zu Gesicht bekommen hatten. Als letztes erwähnte sie Claras verschwundene Großmutter. Guga staunte nicht schlecht.
»Arbeitsteilung«, bestimmte ich. »Tauschen wir Telefonnummern aus. Sie kümmern sich um den Unfall und alles, was damit zusammenhängt. Ihr Kumpel Kawsadse ist an dem Leichnam aus Meßcheti dran.«
»Und Sie?«, fragte Guga.
»Freie Improvisation!«, gab ich zurück. Mein Handy klingelte. Lynns Nummer leuchtete auf. Ich schaltete das Telefon aus.
24
Guga hatte ein paar Tage frei. Der Aufenthalt in der Hauptstadt war eine Erleichterung, wenn man sein Leben hauptsächlich in Sagaredscho verbrachte. Er trug ausnahmsweise keine Uniform, und er beschloss, den miesen Anzug, seinen einzigen, den er vor zehn Jahren gekauft hatte, zu ersetzen.
Während der Schneider in der mikroskopischen Werkstatt am Platz des 26. Mai Maß nahm, machte er sich einen Plan.
Eine Stunde später fuhr er mit dem Sammeltaxi in die Rustaweli-Avenue und verschaffte sich ohne Schwierigkeiten Zugang zu Clara Clevelands Suite. Sein Ausweis zeigte Wirkung.
Unschlüssig stand er in der Zimmerflucht. Jemand hatte frische Blumen hereingestellt, weiße Lilien. Alles war sauber aufgeräumt und unsäglich gesichtslos. Wenn er wirklich das Tagebuch der
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