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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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nun nicht der Punkt. Er ließ Gia erzählen, blätterte dabei im Krimi, bis Gia soweit war, die Tierärzte im Umkreis von 20 Kilometern rund um die Unfallstelle aufzuzählen. Ganze zwei Männer und eine Frau. Die Frau war gerade fertig mit dem Studium, die beiden Männer betrieben zusätzlich einen Hof. Einer uralt, ein Hüne aus den Bergen, dem die Bevölkerung magische Fähigkeiten nachsagte.
    Guga bedankte sich und legte auf. Die Veterinäre würde er persönlich aufsuchen, gleich morgen.
    Endlich bestellte er Käsekuchen, echten deutschen Käsekuchen, den er mochte, seit er ihn zum ersten Mal von seiner Kindergärtnerin vorgesetzt bekommen hatte. Er war ein Knirps gewesen und sie eine abgearbeitete, alte Frau mit leuchtenden Augen, deren Lebensenergie einzig und allein von den Kindern in ihrer Obhut gespeist wurde.
    Es wurde dunkel und kühl. Mauersegler jagten über die Häuser.
    Die Dolmetscherin mit dem herablassenden Lächeln hatte ihm gefallen. Und die Alte mit den riesigen Ohrhängern auch. Seit seinen Kindergartentagen mussten sich die Deutschen ziemlich verändert haben.

25
    Die Leute in Balnuri erschrecken mich. Keine Einladungen, wo ich mich früher vor Extraterminen kaum retten konnte. Bei den Tanten: Ablehnung. Da spalten die Gefühle die Seelen. Nach außen müssen sie signalisieren, wie stolz sie auf mich sind. Untereinander zerreißen sie sich die Mäuler. Sie, die ihre Stadt, ihr Land nie verlassen haben. Weil sie die Möglichkeit nicht hatten. So wie Mutter und ich. All die Jahre waren sie darauf aus, herumzuerzählen, wie wichtig es für mein Talent war, dass Mutter und ich ausreisen durften. Für mein Talent, immer nur für mein Talent. Ob es für Clara Müller, den Menschen sinnvoll war, darum ging es nicht.
    Ich hatte Heimweh. Nach Großmutter, immer nach Großmutter. Ich habe mir verboten zu weinen. Das sollte Mutter nicht sehen. Sie sagte, sie habe es für mich getan, nur für mich: die Heimat verlassen, sogar die Mutter aufgegeben. Ich habe mich selbst nicht mehr gekannt. Ein paarmal habe ich Großmutter geschrieben, nichtssagende Sätze in runder Mädchenschrift. Dann verschwand sie.
    Als ich dieses Mal in Tbilissi ankam, machte ich ein paar Anrufe bei Bekannten in Balnuri. Höflichkeiten. Freundliches Getue. Ein einziges Nichts.
    Irgendwie beruhigt es mich, dass Isolde keinen einfachen Stand hat. Chorleiter bewegen sich auf vermintem Gelände. Isolde ist tough. Wenn ich sie nicht so gut kennte … Trotzdem kommt sie nicht zurecht. Ich habe gehört, wie sie mit Thea umging, als wir das Palmsonntagskonzert durchsprachen. An Theas Stelle möchte ich nicht sein. Isolde ist ruppig und unausgeglichen. Sie sieht nur Probleme.
    Ich kämpfe um jeden Sponsor. Wir sind immer gut zurechtgekommen. Finanziell, meine ich. Doch Isolde ist unersättlich.
    Sie wäre auch gern nach Deutschland ausgewandert, um dort zu studieren. Aber sie bekam keine Unterstützung. Ihre Eltern interessierten sich wenig für ihr Talent. Isolde ist eine gute Musikerin und eine Lehrerin, die ihren Schülern Technik beibringt, Effizienz und Disziplin. Andererseits ist sie wie ein Automat, wenn sie mit den Kindern umspringt. Als würde sie lauter kleine Musikcomputer programmieren.
    Ihr Neid macht ihr Gesicht gelb, ihre Stimme, die ganze Isolde kommt mir manchmal gelb vor, als umgebe sie ein gelber Nebel aus Neid, Argwohn und Gier. Ich würde ihr gern sagen, du weißt ja nicht, liebe Isolde, wie mein Leben wirklich ist. Du hast ein Kind, einen Mann. In deiner Straße in Balnuri wohnen deine Tante, deine Nichten und Neffen, deine Schwägerin. Ich habe niemanden. Keine Mutter, keine Großmutter, kein Kind.
    Thea blickt mich manchmal fast mitleidig an. Sie scheint zu fühlen, dass mein Leben ohne Richtung ist, in abnormer Geschwindigkeit fegt es mich vor sich her, von Bühne zu Bühne, von Land zu Land. Der Chor ist das einzig Beständige in meinem Leben. Die Arbeit mit den Kindern, wenn wir proben oder Kandidaten für die Musikförderung auswählen, ist wie ein tröstliches Abtauchen.
    Und dieses Tagebuch. Es rettet mich. Plötzlich gibt es wieder ein Gesicht von Clara Müller, nicht nur Pressefotos von der Cleveland.
    Ich denke, Isolde ist vor allem neidisch auf mein Gespür für die Musik. Auf das innere Talent. Nicht auf meine Karriere.
    Ob ich mit ihr sprechen soll? Ihr verklickern, wie hart mein Leben ist?

26
    Nachdem wir gut zwei Drittel von Claras Tagebuch gelesen hatten, gaben Juliane und ich auf, legten die Kopien weg

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