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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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Cleveland in Händen hielt, so verstand er, dass sie am Durchknallen war. Bedächtig streifte er Handschuhe über und ging Claras Sachen durch. Er fand einen kleinen Taschenkalender mit Notizen. Sofort packte er das Tagebuch aus seiner Aktenmappe. So schlau war er gewesen, den Deutschen zum Abschied nicht das Original auszuhändigen, sondern eine saubere Kopie, die er in Saburtalo in einem Kopierladen von der Größe einer liegenden Kuh gemacht hatte.
    Er gab die Hoffnung selten auf. Er war das siebte Kind seiner Mutter, und diese Zahl konnte kein Unglück bringen. Er würde seinen Weg machen. Mit oder ohne Kawsadse, mit oder ohne eine Frau, die ihm half, wichtige Leute einzuladen. Bestechen würde er niemanden. Es funktionierte auch nicht mehr. Nicht mehr wie früher, und wenn Guga ›früher‹ sagte, meinte er nicht die Sowjetunion, sondern die Zeit der Anarchie und der mordenden Milizen, in der das Land kein Gas, keinen Strom und kein fließendes Wasser gehabt hatte.
    Die Schrift im Tagebuch stammte aller Wahrscheinlichkeit nach von derselben Person, die Notizen im Kalender gemacht hatte. Letzte Zweifel konnte bei Gelegenheit ein grafometrisches Gutachten klären. Guga steckte den Taschenkalender ein, außerdem ein Nageletui, Nagellack, Zahnbürste, Haarbürste und eine halbleere Packung Kaugummi. Alles verstaute er fein säuberlich in Plastiktüten, die er in seiner Aktentasche unterbrachte.
    An der Rezeption fragte er nach und bekam die Auskunft, dass Clara Cleveland das Hotel am Dienstag, dem 30. März, frühmorgens verlassen habe. Sie habe ihr Frühstück, das man ihr wie gewöhnlich aufs Zimmer brachte, nicht angerührt, aber mehrere Umschläge mit großzügigen Trinkgeldern für den Zimmerservice hinterlassen.
    Mehrere Umschläge?
    Ja, es hätten die Namen der Angestellten daraufgestanden, die sich besonders um das Wohl der Sängerin kümmerten.
    Guga notierte die Namen und befragte alle bis auf eine Zimmerfrau namens Ziala, die mittwochs frei hatte. Über Claras Abgang am Dienstagmorgen brachte er nichts in Erfahrung. Doch er hörte, dass Clara beim Hotelpersonal wegen ihrer großzügigen Geldspritzen und ihrer Freundlichkeit sehr beliebt war. Niemand konnte sich vorstellen, dass sie vorzeitig abgereist sei, ohne dem Hotel Bescheid zu geben. Man gab mehrheitlich an, sie könnte zu ihren Verwandten in Balnuri gereist sein; dass Clara dort Familienangehörige hatte, wussten alle Georgier, die regelmäßig fernsahen. Er verlangte Ausdrucke aller Telefongespräche, die zu Clara aufs Zimmer gestellt worden oder direkt dort angekommen waren. Es dauerte keine zehn Minuten, bis er die Blätter in Händen hielt.
     
    Guga schlenderte die Avenue hinauf zu Prospero’s. Der englische Buchladen inklusive Coffeeshop lag etwas zurückgesetzt an der Rustaweli-Avenue. Guga mochte den Innenhof, in dem man sitzen und internationale Kaffeespezialitäten genießen konnte. Ziemlich viele Ausländer trafen sich hier. Vor allem jene, die länger in Georgien lebten und irgendwann vom türkischen Kaffee genug hatten. Er musste mit seinem Geld haushalten, aber ein englischer Krimi sollte drin sein. Bei Prospero’s gab es auch Bücher aus zweiter Hand, einen Roman für sechs Lari, warum nicht? Guga suchte sich einen etwas zerfledderten Krimi von Ian Rankin und setzte sich in den Innenhof. Ein Taubenpärchen saß auf der Klimaanlage und gurrte.
    Tamara Okroschidses Nummer hatte er in sein Handy gespeichert. Er rief in Sighnaghi an.
    Nach fünf Minuten wusste er, warum ihre Anfrage unbeantwortet geblieben war: Sein Kollege Irakli hatte den Telefonanruf entgegengenommen. Dessen Frau hatte tags zuvor, am 29.3., ihren ersten Sohn geboren. Woraufhin Irakli an jenem 30. März noch nicht wieder zurechnungsfähig gewesen und trotzdem zum Dienst erschienen war. Glück und Aufregung hatten ihn schier aus den Schuhen gehoben. Das war menschlich, das konnte passieren.
    Guga machte Notizen, trank seinen Cappuccino aus und überlegte, ob er Käsekuchen bestellen sollte. Er wählte die Nummer von Gia Mesurnischwili, dessen Hof nicht weit von Sagaredscho entfernt auf der nördlichen Seite der A 302 lag. Gia hatte Vieh und kannte die Tierärzte der Gegend. Sie diskutierten eine Weile über die alten Zeiten, als sie beide zusammen Musik gemacht und Mädchen angebaggert hatten. Bevor Gia den Hof übernommen und Guga bei der Patrouille angefangen hatte. Gia war längst verheiratet, was Guga schmerzlich an sein größtes Problem erinnerte, aber das war

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