Werwelt 01 - Der Findling
frischen jungen Gras neben dem alten Geräteschuppen und taten so, als interessiere sie das alles gar nicht, während sie kicherten, wie Mädchen eben kichern, die wissen, daß die Jungen sich vor ihnen produzieren wollen.
Noch zwei Monate, dachte sie, während sie den primitiven Ritualen zusah, die da im Schulhof abgehalten wurden. Noch zwei Monate mußte sie mit diesen langweiligen Menschen in ihrem täglichen Einerlei von Arbeit und Schweigen leben und sich bemühen, diese Kinder zu prägen, ihnen etwas mitzugeben, worüber nachzudenken sich mehr lohnte als über die Frage, wann man am besten die Ernte einbrachte und ob nun diese oder jene Kuh trächtig werden würde oder nicht. Miss Wrigley war noch jung genug, um idealistisch zu sein, kaum Mitte zwanzig, doch die zwei Jahre in dieser Dorfschule hatten sie gelehrt, daß man über der Verfolgung seiner Ideale leicht das eigene Leben aus den Augen verlieren kann. Sie hatte beschlossen, auf die Universität zurückzugehen, um über diese Isolation hinwegzukommen, die seelische Müdigkeit, die sich angesichts der vielen gleichgültigen jungen Menschen, denen man immer wieder das gleiche beibringen mußte, in ihr ausgebreitet hatte. Doch noch während ihr dieser Gedanke durch den Kopf ging, schämte sie sich. Man wurde auch belohnt, durch Kinder wie Sally und Douglas, und natürlich Charles.
Ein verwunderlicher Junge war Charles, dachte sie, während sie ihn jetzt in seinem auffallenden roten Hemd beobachtete. Aus dem Wipfel der Balsampappel, mit einem Fuß auf der dürren Gabel, die jeden Moment brechen konnte, winkte er den anderen Kindern zu. Nun ja, dachte sie, so müssen sie eben sein. In diesem halben Jahr war er erwachsen geworden; aus dem Jungen, der nicht viel größer als Douglas gewesen war, war ein junger Mann geworden, der so groß war wie Waldo. Und wie alt war er wirklich? Der Junge war ein Geheimnis, aber zweifellos dafür bestimmt, seinen Weg in der Welt zu machen. Wenn er sich nicht vorher umbringt, dachte sie, während sie zusah, wie er, Tarzan gleich, sich von der Balsampappel herunterhangelte. Jetzt rannte er Kick Jones nach, der seine Jacke über dem Kopf schwenkte. Sie hatten so viel überschüssige Kraft, diese Jungen, wie junge Pferde. Sie erstarrte, als sie sah, wie Charles sich auf Kick Jones stürzte, und eine ernste Prügelei begann. Sie schlugen einander jetzt in die Gesichter.
Sie schob das Fenster hoch und schrie hinaus, aber es half nichts. Gerade, als sie sich umdrehen und in den Hof laufen wollte, sah sie, wie Kick Jones, immer noch Charles’ Jacke haltend, sich losriß. Jetzt war Carl Bent über Charles hergefallen und hielt ihn fest. Miss Wrigley rannte zur Tür, als das Geschrei von draußen einen ernsten Unterton annahm. Als sie ankam, krümmte sich Carl Bent auf dem Boden wie eine Schlange, die einen Tritt bekommen hat, und Charles war auf dem Weg zur anderen Ecke des Hofs, wo Kick Jones dabei war, etwas ins Hochwasser des Bachs zu werfen.
»Charles ist völlig verrückt geworden«, rief Mary May, die blauen Augen weit aufgerissen vor Angst. »Er hat Carl so fest geschlagen, und dann hat er gesagt, daß er Kick umbringt, weil er ihm seine Jacke weggenommen hat.«
Die anderen Mädchen trotteten zum Schulhaus. Die Pause war um, und es machte keinen Spaß, wenn die Jungen so grob wurden. Miss Wrigley hielt einen Moment an, um sich zu vergewissern, daß Carl nichts Ernstliches passiert war. Doch er stöhnte nur und sagte kein Wort, bedeutete ihr nur wegzugehen. Sie stürzte davon, um Charles anzubrüllen, der tatsächlich verrückt geworden zu sein schien. Er hatte den Stacheldrahtzaun übersprungen und rutschte die Bachböschung hinunter in den Schlamm und das brodelnde Hochwasser. Sie raste zur Hofecke. Kick Jones kam ihr humpelnd entgegen. Blut tropfte aus seinem Mund. Sie starrte ihn entsetzt an, doch er schüttelte nur den Kopf.
»Charles!« schrie Miss Wrigley dem hochgewachsenen Jungen zu, der hüfttief im überschwemmten Bach stand. »Was ist? Charles?«
Doch er achtete gar nicht auf sie, wühlte nur noch verbissener im Wasser herum, das zu finden, was Jones hineingeworfen hatte. Er beantwortete keine ihrer Fragen und ignorierte ihren Befehl, wieder ins Klassenzimmer zu kommen. Schließlich wandte sie sich ab, mehr verletzt als ärgerlich, daß er sie eines Schnappmessers oder irgendeines anderen Plunders wegen auf diese Weise ignorierte. Sie empfand ein kindliches Gefühl der Zurückweisung und wurde darüber zornig
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