Werwelt 01 - Der Findling
hatte, sich umzudrehen und sie anzusehen.
Die Geschichten, die in der Kirche von Gott erzählt wurden, waren ganz anders, als Robert es sich vorgestellt hatte.
»Gibt es eine Hölle?« begann der Geistliche. »Meine Freunde, ich weiß, Sie werden sich über eine solche Frage vielleicht wundern. Aber erst heute wieder habe ich Leute gehört, die diese Frage stellten, zwei junge Leute, Anhänger der falschen Götter der Wissenschaft und des allmächtigen Dollars, Anhänger des falschen Glaubens, daß nichts zählt, als das eigene Wohlleben.«
Der Geistliche schien sehr alt zu sein. Er war der älteste Mann, den Robert bisher zu Gesicht bekommen hatte. Er hatte beinahe überhaupt kein Haar mehr und viele große Sommersprossen auf Kopf und Gesicht, und unter dem Kinn einen schwammigen, faltigen Lappen wie die Truthähne auf Martins Hof. Die ganze Zeit, während er von Gott erzählte, schien er sehr schlecht gelaunt zu sein, und eigentlich erzählte er überhaupt nicht von Gott.
»Man fragt mich in meiner Eigenschaft als Verbreiter von Gottes Wort, ob ich glaube, daß es so etwas wie die Hölle gibt!« Seine Stimme, die bei dem letzten Wort schrill in die Höhe gestiegen war, brach. »Ob ich glaube, daß es eine Hölle gibt! Meine Freunde, als hätte ich je das Recht gehabt, über eine solche Frage Mutmaßungen anzustellen, wenn ich weiß, daß es eine Hölle gibt, weil die Heilige Schrift es uns sagt.«
Nachdem er sich bei jedem seiner Worte weiter von der Kanzel gebeugt hatte, seinen Zuhörern zu, trat er jetzt abrupt zurück, bis Robert nur noch den oberen Teil seines Kopfes sehen konnte, der wie ein überreifer Kürbis auf dem Rand der Kanzel zu thronen schien. Dann tauchte sein Gesicht wieder auf.
»Man fragt mich, ob ich an die Hölle glauben kann, wo Gott doch die Liebe ist. Ob ich mir vorstellen kann, daß Gott auch nur einen Menschen dazu verdammen würde, im ewigen Feuer zu brennen. Ob es einen Gott geben kann, der erlaubt, daß seine Kinder auf ewig Schmerz leiden? Und ich sage darauf, ja! ja! Denn Gott ist ein Gott der Liebe. Er ist ein Gott des grenzenlosen Erbarmens, und er läßt nicht zu, daß seine strauchelnden Kinder die unschuldigen Opfer des Satans werden, des Bösen! Er hat uns allen gesagt, daß es eine Hölle gibt. Er hat uns gesagt, daß wir ihm gehorchen müssen, daß wir ihn als den Quell immerwährenden Lebens verehren müssen. Wenn wir das nicht tun, wenn wir immer wieder gegen seine Gebote verstoßen, wenn wir nicht an das Opfer glauben, das sein Sohn Jesus Christus am Kreuz für uns gebracht hat, dann – auch das hat er uns gesagt – werden wir erfahren, daß es eine Hölle gibt. Wir werden erfahren, daß dort auch ein Platz für die USA reserviert ist! Und doch fragt man mich immer wieder: Herr Pfarrer, gibt es eine Hölle? Ist das möglich? Und ich sage ihnen, und ich sage es euch, meine Freunde, an diesem schönen Morgen, wo sich uns allüberall Gottes Schöpfung in der Herrlichkeit des Frühlings zeigt, ich sage euch, ja, es gibt eine Hölle. Ja, es gibt die Verdammung. Und sie währt ewig. Sie ist das Feuer, das niemals erlischt, der Schmerz, den nichts lindern kann, der Verlust des himmlischen Paradieses, verbunden mit den Qualen körperlichen und geistigen Schmerzes, die niemals enden werden.«
Robert war übel und ein bißchen schwindlig. Er wünschte, es würde ein kleiner Lufthauch durch die gekippten Fenster kommen, oder er hätte einen der gelben Strohfächer.
»Es ist ein niemals nachlassender und niemals endender Schmerz. Es ist der Schmerz, den ihr hier auf Erden nie gefühlt habt. Es ist der Schmerz, den Gott jenen schickt, die sich weigern, an ihn zu glauben. Es ist die gerechte Strafe für das Böse, für die Verehrung falscher Götter, der bösen und falschen Götter der Selbstsucht und des Mammons, der falschen Götter der Genußsucht. Es ist die gerechte Strafe für die irdische Vergeßlichkeit, die nicht an Himmel und Erlösung denkt. Das Böse, meine Freunde, das Böse ist euer Feind. Das Böse ist der Satan in unserer Mitte, der niemals Ruhe gibt, der euch dazu verführen will, Gott zu vergessen, Jesus zu vergessen, der von seinem Kreuz herabblickt und um euer Herz bittet; es ist der Satan, der stets an eurer Seite weilt und euch mit den Genüssen des Fleisches in Versuchung führt. Und dieser selbe Satan wird euch in die Hölle hinunterlocken, wenn ihr es ihm erlaubt, wird euch in die feurigen Tiefen locken, wo Folter euch erwartet, wo der Satan mit Lust
Weitere Kostenlose Bücher