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Werwelt 01 - Der Findling

Werwelt 01 - Der Findling

Titel: Werwelt 01 - Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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Jungen. Ich bin neugierig, aber ich kann sie nicht richtig berühren. Ich verwandle mich.
    Robert kletterte auf einen Stuhl und von dort aus vorsichtig auf den Tisch und setzte sich im leuchtenden weichen Mondlicht mitten auf die polierte Eichenplatte neben die Waschfrau in ihrer Blumenschale. Er umschloß sie mit einem Finger und dem Daumen und strich ihr über den Pagenkopf, der wie jener Vaires war, abwärts über die glasglatten Hügel ihrer Brüste, folgte mit den Fingern dem sanften Schwung ihres Rückens und der leichten Ausbuchtung ihres Bauches, dem der Nabel fehlte, ließ seine Finger weitergleiten über die Zwillingshügel des Gesäßes, das kaum angedeutete Dreieck der Pubis, die langen Gazellenbeine. Mit einem Finger streichelte er den schlanken weißen Arm, der das Tuch hielt, das sich von ihren Füßen wie eine erstarrte weiße Woge in einem Bogen über ihrem Kopf emporschwang. Es erinnerte ihn an die Sichel des zunehmenden Mondes, die er in der vergangenen Woche gesehen hatte.
    Er war sehr behutsam, sehr vorsichtig, denn er wußte, daß die Figur zerbrechen würde, wenn sie kippte, und Tante Cat hatte ihn ermahnt, sie niemals zu berühren. Und was tat er statt dessen? Saß splitterfasernackt mitten auf dem Tisch und streichelte die Porzellanfigur im weißen Schein des Mondlichts, das durch das Südfenster fiel. In einem langen, schrägen Strahl zog es sich wie eine Rutschbahn vom Mond durch die klare, milchig erleuchtete Nacht, durchdrang die ganze Luft über der Welt, um durch das Glas des hohen Fensters hereinzuströmen und den nackten Jungen zu umspielen, der auf dem dunkel glänzenden Eichentisch saß und in den mageren Händen die weiße Porzellanstatuette einer nackten Frau hielt, von deren Füßen bis zu ihrem Kopf sich ein Bogen spannte, der ihn an die Sichel des Mondes erinnerte. Es war, als stünde sie auf der dunklen Seite des neuen Mondes, als wäre sie die Mondfee, die Frau im Mond.
    Robert drückte die Statuette an seine Wange, ließ das kühle Porzellan über seine Lippen gleiten, über seine Augenlider, führte die kalte Porzellanhand zu den empfindsamen Stellen um seine Augen. Er sah durch das Fenster direkt auf das schiefe Antlitz des Mondes. Zwischen dem Arm der Statuette und dem Halbmond, den sie hielt, hindurch, blickte sein Auge in das narbige Antlitz des Mondes, das entstellte und boshaft grinsende Gesicht des Mannes im Mond. Er fröstelte, und die Angst davor, daß er die Figur fallen lassen könnte, überkam ihn, so daß seine Hände zitterten, als er sie wieder in ihre Schale stellte, sie vorsichtig auf den runden Sockel setzte. Als er seine Hand wegzog, neigte sie sich gefährlich nach vorn – sein Herz setzte einen Schlag aus –, doch seine Hände flogen nicht vorwärts, sie aufzufangen, sondern flohen voller Schreck und Entsetzen. Und das war gut so; seine ängstlichen Finger hätten die Figur in ihrem Bemühen, sie zu halten, zweifellos umgestoßen. So schwankte sie nur einmal und kam dann mit einem leichten Zittern zum Stehen, aufrecht, unversehrt, kühl und weiß in der Flut des Mondlichts.
    Später schnappe ich mir in einem dunklen Dreieck von Schatten hinter dem Misthaufen zwei Ratten und beiß ihnen die Köpfe ab, obwohl ich gar nicht gerne Ratten fresse. Es ist eine seltsame Nacht, voll von Unrast und einer merkwürdigen Schwermut, und am Bachufer summt es von befremdlichen Geräuschen, die ich nicht begreifen kann. Bisamratten zu jagen, habe ich keine Lust, Wiesel kann ich nicht entdecken, eine dumme Fasanenhenne entwischt mir. Im kühlen Tau der Morgendämmerung schleiche ich mich zum Haus zurück. Robert schläft, bis sie ihn zum Kirchgang wecken.
    Anne und Robert durften im Betstuhl stehen bleiben, damit sie sehen konnten, wann die Leute aufstanden, um zu singen. Anne kannte eines der Lieder, aber Robert kannte natürlich keines, deshalb versuchte er nur, mit la-la-la-la der Melodie zu folgen, während alle anderen sangen. Walter, Vaires Mann, fand das ganz in Ordnung und blickte lächelnd zu ihm hinunter.
    Walter war ein rotgesichtiger junger Mann mit welligem blonden Haar, der sich kleinen Jungen gegenüber gern rauh, aber herzlich gab. Während der ganzen Fahrt zur Kirche hatte er sich mit Robert unterhalten, da die beiden Männer vorn gesessen hatten, während Vaire und Anne hinten saßen. Er erzählte von der Schule und von seiner Arbeit, lauter Dinge, die Robert nicht interessierten, weil er von hinten Vaires Duft riechen konnte und immer nur den Wunsch

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