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Werwelt 01 - Der Findling

Werwelt 01 - Der Findling

Titel: Werwelt 01 - Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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hatte einem Hund einen Knallfrosch unter das Halsband gesteckt, hatte Anne Ausdrücke beigebracht, mit denen sie in aller Unschuld die Freundinnen ihrer Mutter aufs höchste schockiert hatte, hatte eines Tages – und das war nach Walters Ansicht der übelste Scherz, den er sich überhaupt geleistet hatte – in einem Wutanfall den Gartenschlauch der Woodsons mit Walters eigener Axt in achtunddreißig nahezu gleich lange Teile zerstückelt. Walter hatte an jenem Sonntagmorgen nur einen Blick in seinen Garten geworfen, wo es aussah, als hätte es rote Makkaroni geregnet, dann war er fuchsteufelswild ins Wohnzimmer gestampft und hatte erklärt: »Dieser Duchamps, dieser Fratz, setzt mir keinen Fuß mehr in meinen Garten.«
    Auf Unterstützung von Willies Vater, von dem man munkelte, er betätige sich neben seiner nächtlichen Arbeit als Barkeeper in der George Washington Tavern auch noch als Zuhälter, war nicht zu hoffen. Der Mann sah aus wie ein rasierter Gorilla – wenn er sich rasierte – und hatte sich seiner geplagten Ehefrau entledigt, indem er sie so brutal prügelte, daß das Gericht ihr verbot, zu ihm zurückzukehren; worauf sie Cassius für immer den Rücken kehrte, um zu ihrer verwitweten Schwester in Colorado zu ziehen. Bart Duchamps war kein Nachbar, dem man mit ärgerlichen Worten kommen durfte, und noch weniger hätte er es sich bieten lassen, daß man ihm seinen mißratenen Sprößling beim Schlafittchen angeschleppt und mit Repressalien gedroht hätte. Bart schlug Willie häufig mit solcher Härte, daß er nicht mehr stehen oder mehrere Tage nicht zur Schule gehen konnte; er würde aber jedem, verkündete er laut, das Genick brechen, der es wagen sollte, seinem Sohn auch nur ein Härchen zu krümmen. Natürlich wurde in der Nachbarschaft weidlich über ihn geklatscht, und die vielen Kinder in diesem Außenbezirk von Cassius, wo die Woodsons lebten, schnappten das Getuschel begierig auf. Willie sei mit seinen neun Jahren doch sowieso zu alt, um mit Anne und Robert zu spielen, pflegte Vaire zu sagen, und es sei ihr schleierhaft, weshalb er sich dauernd vor dem Haus herumtreibe, anstatt mit Jungen seines eigenen Alters zu spielen.
    Für Anne war der Grund seines ständigen Herumlungerns sonnenklar: Er wollte die Kleine hänseln und herumkommandieren, und außerdem, sagte sie zu Robert, während sie nebeneinander auf der Verandaschaukel saßen und zusahen, wie Willie mit Steinen auf eine Katze warf, die unter der vorderen Veranda seines Hauses hockte und nicht heraus konnte, sei Shirley seine Freundin. Shirley war ein mageres, schwarzhaariges Mädchen von etwa sechs Jahren, das zwei Häuser entfernt von den Woodsons wohnte. Richtige Eltern hatte sie nicht, erzählte Anne Robert, denn sie lebte mit ihrer Großmutter und einem jüngeren Ehepaar, angeblich ihre Tante und ihr Onkel, das aber nur selten zu Hause war. Anne ließ sich des langen und breiten darüber aus, daß Shirley zwar fast ein Jahr älter war als sie, aber immer noch nicht zur Schule ging, sondern erst im Herbst anfangen würde, zur gleichen Zeit wie Anne. Sie litt an einer immer wiederkehrenden Krankheit, die sie manchmal eine ganze Woche ans Bett fesselte, und war nach Annes Überzeugung längst nicht so schlau, wie sie sich einzubilden schien. Shirley war Willies besondere Freundin, und das hieß, daß sie nicht nur an den interessanten Spielen teilhatte, die sich ein aufgeweckter Neunjähriger ausdenken konnte, sondern, aus zweiter Hand, auch an den Prügeln, die Willie von seinem Vater bekam.
    Sie war ein mürrisches Kind mit einem blassen Gesicht und dunkelumschatteten Augen, die meist abweisend in die Welt blickten, da sie selbst offensichtlich häufiger Zurückweisung als Zuwendung erlebt hatte. Ihre Großmutter war ausländischer Herkunft und hatte mit ihrer Hakennase und den feinbehaarten Warzen in ihrem Gesicht eine starke Ähnlichkeit mit der Hexe in Annes Buch von Hansel und Gretel. Eine unfreundliche Frau war sie nicht, meinte Robert, nachdem sie ihm eines Nachmittags einen halben Apfel geschenkt hatte, aber sie sah wirklich schrecklich hexenähnlich aus in ihrem schwarzen Gewand und ihrem grauen Haar, das ihr wie dürres Gras ums Gesicht hing.
    Willie hatte in Robert augenblicklich das ideale Opfer gewittert; der kleine Junge war beinahe völlig unschuldig, klein für sein Alter, fügsam und so vertrauensselig, daß er auch die haarsträubendsten Geschichten glaubte, die Willie sich ausdenken konnte. Tatsache war, daß

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