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Werwelt 01 - Der Findling

Werwelt 01 - Der Findling

Titel: Werwelt 01 - Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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an der North Western University immatrikuliert, unter hohen Kosten, hieß es, und stellte im Augenblick das glitzerndste gesellschaftliche Juwel dar, das die Familie vorweisen konnte. Wäre es damals üblich gewesen, die jungen Damen der vornehmen Familien in die Gesellschaft einzuführen, so hätte Betty Bailey zweifellos auf einem Debütantinnenball getanzt. Immerhin aber waren die Baileys in dieser Zeit, da das Land noch unter den Nachwehen der großen Depression litt, dieser ländlichen Gemeinde auf ihre bescheidene Art ein gesellschaftliches Vorbild, dem andere nacheifern konnten.
    Betty wurde selbstverständlich von jenen umworben, die sich einbildeten, mit ihr gesellschaftlich auf gleicher Stufe zu stehen, wurde von den jungen Männern und Jungen angeschmachtet, die gesellschaftlich unter ihrem Stand waren und hatte sogar einen richtigen Verehrer, einen gewissen Alfred Kearney, Sprößling einer ortsansässigen Bauernfamilie, der nach seinem Abgang von der High School in Beecher mit Aussicht auf eine spätere Partnerschaft eine Stellung in einem Lebensmittelgeschäft angenommen hatte. Er war der stolze Besitzer eines 1923er Model B Coupes mit einem Klappsitz und einem Achtzylindermotor, bei dem er die Lamellen der Kühlerhaube abwechselnd rot oder weiß lackiert hatte. Außerdem besaß er eine schrille Trillerpfeife, die er stets betätigte, wenn er am Freitagnachmittag an der Schule vorfuhr, um Betty abzuholen. Die rechte Tür dieses Prachtvehikels zierte ferner, in verschnörkelten Lettern geschrieben, der Name »Betty«. Alfred trug Polohemden und gelegentlich seidene Schals, und war weit und breit der tollste Mann, der den Bauernjungen je zu Gesicht gekommen war.
    Charles hatte Betty natürlich bewundert, doch aus beruhigender Ferne, da sie zwei Jahre älter war als er, wenn das Alter stimmte, das man ihm gab, und ihm, was den gesellschaftlichen Status betraf, himmelweit überlegen war. Alfred, fand er, hatte zwar die großen Ohren von Clark Gable, ansonsten aber war er nichts weiter als ein knollennasiger, schlaksiger Bauernbursche. Er schien auch etwas alt, um Freitag nachmittags eine Siebtkläßlerin von einer Dorfgrundschule abzuholen.
    Kein Wunder also, daß Charles baß erstaunt war, als er eines Mittags sah, wie Betty Bailey mit einem Briefchen in der Hand und einem Lächeln auf dem Gesicht quer durch den Schulhof kam. Sie ist wirklich hübsch, dachte Charles und versteckte die Hand, die das Sardinenbrot hielt, in seiner Pausenbrottasche. Ihre Lippen waren rot und klar gezeichnet, wie mit einer scharfen Feder, und sie hielt den Kopf mit dem schweren kastanienbraunen Haar, das ihr auf die Schultern hing, leicht zur Seite geneigt. Charles hatte das Gefühl, als wiche die Wirklichkeit immer weiter in den Hintergrund zurück, als sie sich ihm näherte, die dunkelbraunen Augen direkt auf sein Gesicht gerichtet. Ihr Rock schwang vom Gang durch den Schulhof noch leicht hin und her, als sie unmittelbar vor ihm stehenblieb. Charles war wie hypnotisiert und hätte nicht sagen können, ob er noch auf den Füßen stand, oder ob ihn vielleicht jemand auf den Kopf gestellt hatte.
    »Charly«, sagte Betty. Nie zuvor hatte ihn jemand Charly genannt. »Ich möchte dich zu meinem Halloween-Fest am nächsten Freitag einladen. Ich hoffe, du kannst kommen.«
    Sie neigte ihren Kopf auf die andere Seite, als wollte sie sehen, ob Charles wach war oder womöglich plötzlich das Bewußtsein verloren hatte.
    »Du schaust doch, daß du kommen kannst, nicht wahr?«
    »Hm«, versetzte Charles. »Oh ja.« Er erholte sich, schnaufte gierig, als wäre er wieder unter den Wasserfall geraten. »Ach, ja, natürlich, Betty. Vielen Dank für die Einladung.«
    Er streckte eine Hand aus, um das Briefchen entgegenzunehmen, doch die Hand war unerklärlicherweise voll mit Sardinen und zerquetschtem Brot.
    Betty lachte strahlend. »Nein, danke, Charly«, sagte sie. »Ich hab’ mein Mittagsbrot schon gegessen.«
    Charles blickte auf seine Hand, riß sie zurück und fing an zu lachen.
    »Ich bin so überrascht«, erklärte er, Miss Wrigleys Stil nachahmend, »daß mir anscheinend einfach die Spucke weggeblieben ist.«
    Dann lachten sie beide, und ihre Augen begegneten einander, das war ein Trick, auf den Betty sich gut verstand, und Charles spürte, wie wieder dieses merkwürdige Gefühl von Unwirklichkeit über ihn kam. Betty steckte ihm das Briefchen in die Tasche am Latz seiner Hose, drehte sich um und winkte noch einmal. Er starrte auf

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