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Werwelt 01 - Der Findling

Werwelt 01 - Der Findling

Titel: Werwelt 01 - Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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Badeanzug vor Augen. Er hörte zu.
    »Ich weiß, daß du dich gut benehmen wirst, Charles, denn du bist ein aufmerksamer Junge. Sie ist Witwe wie ich. Der arme Bernard, ihr Mann, ist in diesem schrecklichen Weltkrieg gefallen, in seinen besten Jahren, völlig grundlos, völlig sinnlos.«
    Sie machte eine Pause und nahm ihre Brille mit den kleinen ovalen Gläsern ab, um sich die Augen zu wischen.
    »Ach, die Männer in unserer Familie, was ist nur aus ihnen geworden? Und ich hab’ gesagt, Claire, du mußt wieder heiraten, denn du kannst immer noch Kinder bekommen – sie war erst siebenundzwanzig und ein wunderschönes Mädchen, aber von den Männern, die ihr den Hof machten, wollte sie keinen haben. Sie sagte, sie hätten es alle nur auf das Vermögen abgesehen, das Bernard ihr hinterlassen hatte, von anderen sagte sie, sie wären geizig oder sie tränken zuviel oder sie wären nicht sehr sanft. Keiner von ihnen war ihr gut genug, aber sie wird wohl gewußt haben, was sie tut. Sie hat viele Reisen gemacht, mit Schiffen und Flugzeugen, und hat allerhand von der Welt gesehen. Das Geld an dem Grundbesitz, den Bernard ihr hinterlassen hat, hat sie gut verwaltet. Seit dem Bankkrach hat sie kaum einen Cent verloren. Ja und nun wird sie bald vierundvierzig, nein, fünfundvierzig. Im nächsten Februar. Sie ist eine Frau mittleren Alters, auch wenn man es ihr nicht ansieht.«
    Charles saß da und fragte sich, warum die alte Frau ihm das alles erzählte, bis er merkte, daß sie völlig in ihren eigenen Gedanken versunken war und kaum noch wußte, daß er da war. Ihre Stimme verklang in einem undeutlichen Murmeln und dann folgte Schweigen, so daß der Junge aufschreckte, als die Stimme plötzlich wieder laut wurde.
    »Ach ja, sie ist ein gutes Kind, ein feiner Mensch. Und Catherine, ach, meine Catherine, was soll nur jetzt aus ihr werden. Alle sind wir allein, einsame alte Frauen. Es ist so schwer, so schwer, allein zu sein, und meine arme gute Catherine. Ihr Kummer ist noch so frisch. Ach und die wirren Briefe, die sie mir schreibt, lauter Unsinn.«
    Mrs. Stumway hörte auf zu schaukeln und krümmte sich nach vorn, um sich aus dem Stuhl zu stemmen. Auf dem Weg zur Küche blieb sie kurz stehen, um einen Blick auf Charles zu werfen, als wäre sie verwundert, ihn am Eßtisch zu sehen.
    »Und du, du bist ein Findling, genau so allein wie wir alle. Weißt du, was sie mir geschickt hat?«
    »Nein, Madame.«
    »Ach was, Charles, ich sollte wirklich nicht mit dir über meine Familie reden und all unsere Privatangelegenheiten vor dir ausbreiten, aber du gehörst ja nicht zu uns, und manchmal babble ich einfach vor mich hin, als könntest du gar nichts verstehen, als wärst du ein Hund oder so was, der nur dazu da ist, daß eine alte Frau jemanden zum Reden hat. Ach, Charles, das tut mir leid. Weißt du, ich finde wirklich, du gehörst in eine Familie, denn du bist ja auch allein.«
    Sie beugte sich zu ihm hinüber und tätschelte seinen Kopf, so daß sich Charles noch mehr wie ein freundliches Haustier vorkam.
    Mrs. Stumway ging hinüber zu dem alten Sekretär mit dem hohen Bücherregal, das von leicht nach außen gewölbtem Glas umschlossen war, und klappte den Sekretär auf. Sie kramte in den Papieren, suchte in den kleinen Schubladen und fand schließlich einen schweren Gegenstand, den sie mitbrachte und mit dumpfem Krachen auf den Tisch setzte. Es war ein Stück behauenen Steins, etwa zehn bis zwölf Zentimeter hoch, das aussah wie die Gestalt eines Bären, der im Hals ein Loch für ein Lederband oder für eine leichte Kette hatte. Der Stein war glatt, als wäre er schon durch viele Hände gegangen. Charles betrachtete ihn einen Moment lang ohne Interesse, doch etwas an der Form der Figur drängte ihn, sie anzufassen. Er hob die Hand, um nach ihr zu greifen, und als seine Finger sie berührten, verspürte er ein Prickeln, als flösse ihm kitzelnd Elektrizität über die Haut. Er zog die Hand zurück und starrte wieder auf die Figur. Auf beiden Seiten konnte er fein eingeritzte Zeichen oder Buchstaben erkennen.
    »Trau dich nur, faß sie ruhig an«, sagte die alte Frau und schob die Figur zu ihm hin, so daß sie vornüber kippte. »Das ist doch nur alter Plunder, den irgendein Quacksalber meiner armen Catherine angedreht hat. Das arme Ding.«
    Die alte Frau schlurfte in die Küche hinüber, um sich ein Glas Wasser zu holen, wobei sie vor sich hin murmelte, über dem Gerede von den Kindern sei ihre Arthritis wieder schlimmer

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