Werwelt 01 - Der Findling
er und Charles vom Schlittenberg gegenüber vom Schulhaus zurückkamen. Er stieß einen aufgeregten Schrei aus, ließ das Schlittenseil fallen und hoppelte in ungelenkem, steifbeinigem Lauf davon, bis er keuchend neben dem Auto stand. Es war anders, stellte Charles fest, als die Autos, die er bisher gesehen hatte. Es hatte ein spitzzulaufendes Heck und große blitzende Rohre, die aus den Seiten der Kühlerhaube herauskamen und unter den Kotflügeln verschwanden. Vorn hatte es eine V-förmige Stoßstange, und die Kühlerhaube krönte die Statuette einer nackten Frau, die den Kopf in den Nacken geworfen hatte und ihre Chrombrüste in den Wind hineinstieß.
»Mensch, das ist ein Auburn Speedster«, sagte Douglas, während er das cremefarbene Metall so vorsichtig berührte, als wäre es lebendige Haut. »So einen hab’ ich noch nie in Wirklichkeit gesehen. Das ist bestimmt der einzige hier in der Gegend.«
Charles sah zu, wie der kleinere Junge ganz langsam um das Auto herumging und es dabei mit vorsichtigen Fingern hier und dort berührte. Er legte eine Hand auf eines der blitzenden Rohre, stellte fest, daß es warm war und kam zu dem Schluß, daß die Besucherin erst wenige Minuten zuvor eingetroffen war.
»Das Auto gehört wahrscheinlich Mrs. Stumways Tochter«, bemerkte Charles, nicht übermäßig interessiert.
Er konnte Douglas’ Faszination an Maschinen aller Art nicht verstehen und geriet oft an den Rand seiner Geduld, wenn Douglas einfach stehenbleiben mußte, um irgendein völlig uninteressantes Stück technischer Kunstfertigkeit zu inspizieren.
»Das Ding läuft hundert Meilen in der Stunde«, sagte Douglas gerade. »Die muß wirklich reich sein.«
»Ja, wahrscheinlich«, meinte Charles. »Mrs. Stumway hat erzählt –« Doch er brach ab. Er wollte nicht weitererzählen, was die alte Frau da neulich abends in ihrer Gedankenverlorenheit von sich gegeben hatte. »Sie bleibt ein paar Tage.«
Er blieb abwartend stehen, während Douglas im Schnee niederkniete, um unter den Wagen zu schauen und angestrengt in sein Inneres hineinzuspähen, doch schließlich verlor er die Geduld. Seine Füße waren eiskalt.
»Ich muß jetzt rein und ihr guten Tag sagen, Doug.« Dann fiel ihm ein, daß er Doug sein Geschenk noch nicht gegeben hatte, und er machte sich das zum Vorwand. Er rannte ins Haus, sauste die Treppe zu seinem Schlafzimmer hinauf, ohne seine Stiefel auszuziehen, und stürzte wieder hinaus, in den Händen das Geschenk, das in braunes Papier eingewickelt war und ein selbstgemachtes Schälchen mit Douglas’ Namen trug. Er sprang von der obersten Verandastufe in den Schnee hinunter und sah, daß Doug noch immer das Auto bewunderte.
»Hier, Doug, ich hab’s selbst gemacht. Es ist wirklich ganz echt.« Er legte Doug das Päckchen in die ausgestreckten Hände. »Was ist denn los?« fragte er, als er merkte, daß das Gesicht des Jungen zuckte. Entweder war er traurig oder wütend.
»Ich hab’ nichts für dich.« Douglas stand kerzengerade da, das geschiente Bein leicht abgespreizt. »Pa hat gesagt, den Leuten, die nicht zur Familie gehören, brauchen wir nichts zu schenken, weil –« Er brach ab und blickte auf das Päckchen hinunter.
»Mensch, Doug, du hast mir doch schon so viel geschenkt. Das kann ich dir nie im Leben alles zurückzahlen«, erwiderte Charles und legte dem Jungen den Arm um die Schultern. »Fröhliche Weihnachten, Doug«, sagte er und tätschelte dem Jungen die Schulter.
»Fröhliche Weihnachten, Charles«, erwiderte Douglas. Mit einem Lächeln blickte er auf. »Ich hab’ doch was für dich, und es gefällt dir bestimmt. Kann ich’s dir morgen vorbeibringen?«
»Klar, aber du brauchst wirklich nicht, wenn es dein Vater doch verboten hat.«
»Ach, das geht schon in Ordnung. Das, was ich hab’, gehört schon mir, ich meine, ich kann es auch verschenken, wenn ich will.«
Damit hoppelte Douglas die Auffahrt hinunter, hob das Schlittenseil vom Boden auf und machte sich mit einem letzten Winken auf den Heimweg. Einen Moment lang verspürte Charles Mitleid mit Douglas, und dann sagte er sich, wieso ausgerechnet er mit einem Jungen Mitleid haben sollte, der eine Riesenfamilie hatte und auf den morgen sicherlich ein Haufen Geschenke wartete. Charles lag nicht viel an Geschenken für sich selbst, da er wenig erwartete, doch ihm lag viel daran, den Leuten, die er mochte, etwas schenken zu können, und er meinte, er hätte wohl ziemlich an alle gedacht. Bis zu diesem Augenblick war ihm
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