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Werwelt 01 - Der Findling

Werwelt 01 - Der Findling

Titel: Werwelt 01 - Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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Er hatte das gleiche Gefühl wie an jenem Tag, als er, nachdem er plötzlich den verzwickten Prozeß der Teilung verstanden hatte, von einer herrlichen Hochstimmung darüber erfaßt worden war, daß er endlich die vier Prozesse der Mathematik gemeistert hatte, nur um Miss Wrigley sagen zu hören, »ja, aber das ist noch längst nicht alles. Da kommt noch Algebra, Geometrie, die Differential- und Integralrechnung, Trigonometrie.« Wieder war er voll tiefen Staunens über die endlosen Weiten der geistigen Welt.
    Später, als sich Charles nach Torte und Schlagsahne wieder angenehm gesättigt und ein wenig schläfrig fühlte, las Mr. Boldhuis ihnen aus ein paar dünnen Büchern Gedichte vor, ein paar sehr kluge von Edna St. Vincent Millay, einige recht brüske von Ezra Pound, ein närrisches von E. E. Cummings und schließlich ein trauriges von Tennyson, von dem Charles schon in der Schule einige Sachen gelesen hatte.
    Auf der Rückfahrt über den Highway zum Haus der Witwe Stumway saß Charles im Fond des alten Ford und lauschte der gedämpften Unterhaltung von Mr. Boldhuis und Miss Wrigley, die vorn saßen, während wirbelnder Schnee sich auf die Windschutzscheibe setzte und die Kälte ihm in die Schuhe kroch. Er dachte darüber nach, wie groß und weit die Welt wirklich war, und wieviel es in ihr gab, das er wissen und erfahren wollte. Und er beschloß, an seinem Stück Welt festzuhalten, es sich um keinen Preis nehmen zu lassen.

5

    Mrs. Stumways Haus hatte unten im Keller einen Kohleofen, aber wenn es nicht gerade bitterkalt war, sparte sie gern, und nur der hohe, verschnörkelte Ofen aus Eisen und Nickel, der im Eßzimmer stand, wurde angezündet. Seine Hitze und die Wärme, die der Kochherd in der Küche verstrahlte, hielten die Luft in diesen beiden Räumen immer auf angenehmer Temperatur, und das große Wohnzimmer war mit dicken Steppdecken und Tagesdecken abgeschirmt, die im Torbogen von Haken herunterhingen, die Mrs. Stumways verstorbener Mann viele Jahre zuvor angebracht hatte. Die Schlafzimmer im oberen Stockwerk waren hingegen von arktischer Kälte durchweht, die nur dadurch ein wenig gemildert wurde, daß man eine Stunde vor dem Zubettgehen die Zugklappen im Boden öffnete. Charles und die alte Frau in ihrer Fliegermütze saßen daher jeden Abend nach dem Essen im Speisezimmer zusammen, ein höchst seltsames Paar, wie aus einem Märchen. Der hochaufgeschossene blonde Junge pflegte über seine Schularbeiten gebeugt am Tisch zu sitzen, während die hagere alte Frau sachte in ihrem Schaukelstuhl hin und her wippte, und, den Kopf leicht zur Seite geneigt, in ihren staubigen Büchern las oder in Zeitschriften blätterte, die die Nachbarn ihr manchmal aus reiner Freundlichkeit herüberschickten. Eine Zeitung las sie nie und zeigte kaum Interesse daran, was in der übrigen Welt vorging, so daß Charles auf die Schule und Miss Wrigley angewiesen war, um mit dem Leben in Kontakt zu bleiben. Sein Zuhause bei Mrs. Stumway sah er als eine Art Gefrierschrank, wo er auf Eis gelegt wurde, bis er wieder entrinnen konnte, um in der wirklichen Welt zu leben.
    Es war ihm daher eine große Überraschung, als Mrs. Stumway eines Abends beiläufig sagte: »Bald ist Weihnachten, Charles, und wir bekommen Besuch.«
    »Ach?« versetzte Charles, völlig absorbiert von der Geschichte des Bürgerkriegs, so daß er kaum gehört hatte, was Mrs. Stumway gesagt hatte.
    »Meine Tochter Claire kommt für ein paar Tage.«
    Charles hörte auf zu lesen und blickte auf, als die Worte in ihn einsickerten.
    »Ihre Tochter?« echote er, den Blick auf die alte Frau gerichtet.
    »Oh, ich habe natürlich eine Familie, junger Mann«, sagte sie und legte das Nähzeug aus der Hand, an dem sie gearbeitet hatte. »Ich sehe meine Kinder nicht mehr oft. Nein, nicht einmal, wenn sie Sorgen haben«, meinte sie gedankenvoll. »Aber sie schreiben mir, und ich denke an sie. Claire ist meine Jüngste, obwohl sie auch gar nicht mehr so jung ist, und sie hat ihr Päckchen an Sorgen und Schwierigkeiten tragen müssen.«
    Mit pflichtschuldiger Aufmerksamkeit saß Charles da und hörte der alten Frau zu, deren Stimme er selten hörte, es sei denn, sie gab ihm irgendwelche Befehle oder beauftragte ihn mit irgendwelchen Arbeiten im Haus. Der Name von Mrs. Stumways Tochter löste irgendein verschwommenes Gefühl in ihm aus, das ihm zu schaffen machte. Es war ausgeschlossen, daß er sie kannte, doch er hatte das Bild eines jungen Mädchens in einem langen schwarzen

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