Werwelt 02 - Der Gefangene
beginne ich mit meinen Fragen.
Wo wohnt ihr?
Ungefähr drei Meilen von hier entfernt, auf der anderen Seite vom Highway.
Gibt es da einen Ort, wo ich mich verstecken kann, bis ich wieder gesund bin?
Es folgt eine Pause. Dann antwortet das Mädchen. Ja, ich weiß einen! Im Keller vom alten McKinley-Haus. Richtig, sagt der Junge. Das ist ein prima Versteck, da geht nie jemand hin.
Bringt mich dorthin.
So gut es geht, strecke ich mich aus und mache meinen Körper steif, um die holpernden Stöße abzufangen, die Blut aus meinen Wunden pressen und Stichflammen des Schmerzes durch meine Brust und durch mein Hinterbein jagen. Der Junge fährt vorsichtig und langsam über den Bahnübergang. Ich frage mich, wie weit mein Einfluß auf die beiden weiterwirken wird, wenn ich sie schließlich aus den Fesseln meines Willens entlasse. Ich habe noch nie versucht, ein Menschenwesen auf Dauer zu beeinflussen. Doch wie war das damals, als ich mich des nachts in Mrs. Stumways Haus schlich und ihr meine Wünsche ins Ohr flüsterte, während sie schlief? War es das, was sie veranlaßte, Charles bei sich aufzunehmen? Wenn auch diese jungen Leute auf die gleiche Weise beeinflußt werden können, werde ich sie nicht töten müssen. Doch in meiner natürlichen Gestalt bin ich ein furchteinflößendes Objekt für sie. Dennoch muß ich es versuchen und hoffen, daß sie mich nicht an Menschen verraten werden, die Gewehre haben. Während der Wagen durch die kühle Nacht rumpelt, sehe ich, wie das Mädchen sich umdreht und mich über die Lehne ihres Sitzes hinweg betrachtet.
Habt keine Angst. Ich tue euch nichts. Ich bin schwer verletzt. Ich bin von einem Zug angefahren worden. Ich werde wieder gesund werden, aber ich brauche einen sicheren Unterschlupf, um mich erholen zu können, ich brauche Wasser und Nahrung. Wollt ihr mir helfen?
Das Mädchen nickt in der Dunkelheit, doch mir ist bewußt, daß ich ihren Geist steuere. Sie steht unter dem direkten Einfluß meines Willens, den fortzunehmen ich in diesem Moment nicht wage. Ich frage den Jungen, und auch er nickt. Aber ich kann mich nicht darauf verlassen. Ich muß abwarten und sehen, ob sie, wenn ich sie freigebe, voller Entsetzen davonlaufen. Dann werde ich sie zurückrufen und töten müssen.
Der Wagen holpert über die Straße, die so wellig ist wie ein Waschbrett, und die qualvollen Schmerzen drohen über mir zusammenzuschlagen. Ich kann mich jetzt nur noch an die Notwendigkeit klammern, diese beiden Wesen unter meiner Kontrolle zu halten. Ich schaffe es, bei Bewußtsein zu bleiben, bis der Wagen von der Straße abfährt, um in einen kleinen Weg einzubiegen. Wir fahren jetzt sehr langsam, und mir fällt auf, daß der Junge die Scheinwerfer ausgeschaltet hat. Endlich hält der Wagen im hohen Unkraut neben einem Haus, das in sehr dunklen Umrissen zu erkennen ist. Auf der einen Seite stehen ein paar halbverfallene Nebengebäude. Die Grillen und Frösche veranstalten ein nächtliches Konzert, das in mir das Verlangen weckt, einfach einzuschlafen. Es kostet mich große Mühe, bei Bewußtsein zu bleiben. Der Junge und das Mädchen helfen mir jetzt aus dem Auto. Einmal werfe ich in rasendem Schmerz den Kopf nach rückwärts, als ich ausrutsche und auf dem gebrochenen Bein aufkomme. Die Sterne scheinen ein weites Feld brennender, funkelnder Augen am dunklen Himmel zu sein.
Sie nehmen mich wieder in ihre Mitte. Sie führen mich durch eine Tür in einen Keller hinunter. Wir steigen mehrere Betonstufen in einen feuchten, kühlen Raum unter dem Haus hinunter. Ich sende meinen Raumsinn aus, um den Kellerraum zu durchforschen. Nichts Lebendes ist hier zu finden außer ein par Feldmäusen, die unmittelbar unter einem zerbrochenen Fenster hausen. Der Junge trägt jetzt Bretter zusammen. Er spricht von einer alten Matratze, die oben läge. Mir ist schwindlig, und mein Geist entgleitet immer wieder in graue Nebelfelder, so daß ich alles Zeitgefühl verliere. Ich muß klarbleiben, bis ich weiß, ob diese beiden Menschen mir gehorchen werden. Der Arm des Mädchens liegt noch immer um meine Mitte, während ich an eine Mauer gelehnt dastehe. Der Junge kommt die Treppe herunter. Die Stufen unter seinen Füßen knarren und ächzen. Er schleift etwas hinter sich her, eine Matratze, die er auf die Bretter in einer Ecke legt. Zu zweit helfen sie mir, mich auf dem modrig riechenden alten Polster niederzulegen. Der Geruch ist unangenehm, doch er ist fern und unwichtig. Er hat keine Bedeutung. Ich kann jetzt
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