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Werwelt 02 - Der Gefangene

Werwelt 02 - Der Gefangene

Titel: Werwelt 02 - Der Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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entweder nach der Stange oder nach Anderson schlug, daß diesem die Stange durch den Körper gerammt wurde. Sheriff Gross zeigte ungläubige Verwunderung über den Vorfall, bezeichnete ihn als eine »wahnsinnige Geschichte.«
    ›Der Bär, ein geheimnisvolles Tier, dessen Herkunft unbekannt ist, wurde in der vergangenen Woche im Keller eines leerstehenden Hauses, das sich auf Andersons Boden befindet, entdeckt. Eine Gruppe von Männern, mit Flinten und Gewehren bewaffnet, fingen das Tier ohne Mühe ein. Sie hatten den Tip von einigen einheimischen jungen Leuten bekommen, die das Tier beobachtet hatten. Einer der Männer aus dieser Gruppe erzählte, der Bär wäre bei seiner Gefangennahme schwerverletzt und dem Tode nahe gewesen, und man hätte damit gerechnet, daß das Tier höchstens noch ein paar Tage leben würde. Unter Andersons Pflege jedoch erholte es sich wieder, und er stellte das Tier gegen Zahlung von einem Eintrittsgeld zur Schau. Neugierige durften sich das Tier durch ein Stallfenster ansehen. Anderson hatte vorgehabt, den Bären zu Beobachtungszwecken an die Universität von Michigan zu verkaufen, nachdem ein Professor der Biologie dieser Hochschule erklärt hatte, bei dem Tier handle es sich um eine seltene Art. Der Verkauf wird nun aufgeschoben, bis der Untersuchungsrichter seine Ermittlungen über Andersons Tod abgeschlossen hat.
    ›Otis Anderson hinterläßt seine Ehefrau Belinda, einen Sohn Orville, seine Mutter Mrs. Hartly Anderson, und seinen Bruder Asa Anderson, der in Battle Creek zu Hause ist.‹

    Gestern hörte ich Geräusche, die wie Schüsse klangen, und jetzt stellt sich heraus, daß die Kinder auf den umliegenden Höfen den vierten Juli feiern, und hoch über den Bäumen in der Ferne sehe ich bunte Leuchtkugeln und sprühende Funkengarben am Nachthimmel.
    Heute ist es wieder heiß, und die Familie ist dabei, die Schilder auf der Straße und in der Hofeinfahrt wieder aufzustellen. Eine merkwürdige Familie ist das. Ihr Oberhaupt ist gerade einen Tag tot, und sie haben nur das Geschäft im Kopf, das sie mit mir machen können.
    Heute kommen keine Autos die Hofeinfahrt herauf, vielleicht, weil Sonntag ist. Gesprächen in der Nähe meines Käfigs entnehme ich, daß der Tod des Fettwansts allgemein als Unglücksfall betrachtet wird, daß man mir aber auch neuen Respekt entgegenbringt. Ich gelte jetzt als gefährliches Tier. Aus einer Bemerkung des jüngeren Mannes könnte man vielleicht entnehmen, daß ich erst verkauft werden soll, wenn die Polizei festgestellt hat, ob ich den Tod des Fettwansts herbeigeführt habe. Vielleicht habe ich also eine Gnadenfrist gewonnen. Eben nähert sich der junge Mann, der jetzt auf dem Hof das Regiment übernommen zu haben scheint. Er ist im Gespräch mit dem Mann, der mich in jener Nacht zu bewachen hatte.
    »Ach, das weiß doch jeder, daß das bei ihr nichts als Getue ist«, sagt der junge Mann. »Tante Bee hat ihn gehaßt wie die Pest.«
    »Na ja, es ist ja auch ihr gutes Recht, aber ich meine, irgendwie ist es ja schon, na, wie soll ich sagen, pietätlos, die Gaffer wieder reinzulassen, wo Otis noch gar nicht unter der Erde ist.«
    Der Sprecher ist ein untersetzter, kraftlos wirkender Mann, der die Lebensmitte hinter sich hat.
    »Onkel Otis ist ihr völlig gleichgültig«, versetzt der junge Mann, der vorn am Lastwagen steht und zu meinem Käfig hinaufblickt, wo ich, den Kopf hinter den Armen versteckt, auf dem Boden kauere. »Und wir brauchen das Geld. Die Herrn Professoren da oben kriegen das Tier erst, wenn die Polizei mit ihren Untersuchungen fertig ist, und Gott weiß, wie lang das dauert. Womöglich wollen sie das Vieh dann gar nicht mehr haben. Du weißt doch, wie diese Großkopferten sind. Von Vernunft keine Spur.«
    Bei dem Wort Professoren spitze ich die Ohren. Meine Befürchtungen waren also berechtigt.
    »Tja, kann ja sein, daß das ein wertvolles Tier ist, aber ich möcht’s nicht haben. Mir hat’s in der Nacht richtig das Gruseln beigebracht. Ich hatte mir einen Schluck aus Otis Flasche genehmigt und bin eingeschlafen, und als ich aufwache, stehe ich doch direkt neben dem Käfig, und dieser Teufelsbär hat richtiggehend mit mir gesprochen – beinahe jedenfalls.«
    Er bricht ab. Er scheint nicht darüber sprechen zu können. Er schüttelt den schmalen grauen Kopf, bis die schlaffe Haut unter seinem Kinn zu schwabbeln anfängt.
    »Ach, Ben«, meint der junge Mann lachend, »das hast du doch geträumt. Der Bär soll mit dir geredet haben?«

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