Werwelt 02 - Der Gefangene
Sekunde lang aus, ehe ich meinen Kopf wieder verberge. Mit einem Schrei dann läßt die alte Frau den Schlauch fallen und läuft stolpernd und schlurfend zum Haus zurück, wobei sie ständig spitze kleine Schreie ausstößt, als stäche jemand mit einem glühenden Eisen auf sie ein. Ich erwäge, sie aufzuhalten und zurückzuholen, damit sie den Eimer füllen kann, doch ich entscheide mich dagegen. Vielleicht beobachtet sie die Szene. Eine solche Umkehr wäre für eine verängstigte Frau höchst unglaubwürdig, ich habe einen schweren Fehler begangen.
»Verwandle dich, dann sorge ich schon dafür, daß wir rauskommen.« Das ist wieder Barry.
Ich komme allmählich zu der Überzeugung, daß du ein Narr bist.
»Verwandle dich. Einen Menschen können sie nicht in einem Käfig halten, schon gar nicht einen verletzten Menschen.«
Und wie bist du in den Käfig hineingekommen, Barry? frage ich geduldig, obwohl ich langsam ärgerlich werde.
»Was spielt das für eine Rolle? Ich werd’ mir schon was überlegen.«
Im Augenblick scheinst du mir überhaupt nicht zu überlegen. Ich bin jetzt durstig und wütend. »Verwandle dich.«
Barry, sage ich, meinen Zorn mit Mühe zurückhaltend. Nimm dich zurück, oder ich vernichte dich!
»Das kannst du nicht«, versetzt er, und jetzt ist auch er zornig.
So? Dann paß mal auf. Ich drücke seine Persönlichkeit ins Nichts und spüre seine Qual, als seine Züge sich in meinem Geist zu verwischen beginnen. Doch dann greift er auf eine unerklärliche Weise nach mir und berührt eine Stelle in meinem Inneren, die so empfindlich ist, daß ich vor Schmerz hörbar aufschreie. Ich muß meinen Druck von ihm abziehen. Seine Züge werden wieder klar. Der Schmerz hört auf. Er zieht sich zurück.
Ich keuche. Der Schmerz war entsetzlich, schlimmer als jeder körperliche Schmerz. Ich fühle mich schwach, wie ausgelaugt, und ich fröstele, obwohl die Sonne den Käfig so stark aufgeheizt hat, daß man sich verbrennt, wenn man die oberen Gitterstäbe berührt. Ich fühle mich leer und ausgehöhlt, und mein Durst ist so heftig, daß mir die Zunge anschwillt. Mein Geist bricht in Stücke, doch er sammelt sich wieder, als ich aus der Hintertür des Hauses Menschen kommen höre. Die alte Frau und der junge Mann. Sie nähern sich dem Heck des Lastwagens. Die Alte redet mit hysterischen Gebärden auf den jungen Mann ein, der sich bemüht, sie zu beschwichtigen.
»Nein! Nein! Ich sag’ dir, das Tier versteht einen. Ich hab’ gesagt, es soll den Wassereimer umdrehen, du weißt schon, wie man das eben so macht, wenn man die Tiere füttert, und da packt’s doch tatsächlich den Eimer und dreht ihn um.«
»Aber hör mal, Oma«, versetzt der junge Mann geduldig, »das ist doch ein Tier. Ein Bär. Der kann uns nicht verstehen. Daß er den Eimer gerade in dem Moment umgedreht hat, war ein reiner Zufall.«
Er späht in den Käfig hinein, sieht, daß der Eimer richtig steht. Hätte Barry mich nicht gestört, so hätte ich ihn wieder umdrehen können. Das hätte sie vielleicht beide verwirrt. Aber die alte Frau läßt sich nicht beschwichtigen.
»Ich weiß schon, daß du es mir nicht glaubst, aber es ist wahr. Ja, es ist wahr. Und angesehen hat es mich auch, dieses Vieh. Ich hab’ gewußt, daß es sich einmal verraten würde.« Sie drohte mir mit erhobener Faust.
»Also schön, Oma, dann ist es eben wahr.«
Der junge Mann steht da, die Hände in die Hüften gestützt, den Kopf zur Seite geneigt, und mustert mich. Ich liege da wie immer, den Kopf unter den Vorderläufen verborgen. Er packt den Schlauch und drückt den Daumen auf die Öffnung, so daß das Wasser in einem harten dünnen Strahl heraussprüht. Am liebsten würde ich den Kopf heben, um etwas davon aufzufangen, doch diesmal bin ich auf der Hut und halte mich weiter verborgen. Er spritzt das Wasser über den ganzen Käfig, um ihn abzukühlen, und schließlich in den Eimer.
»Wir müssen den Wagen noch weiter rauffahren. Hier steht er direkt in der Sonne«, sagt der junge Mann.
Seine Großmutter blickt ihn aus harten Augen an. Sie sagt nichts mehr, wendet sich nur ab und schlurft zum Haus zurück, wo sie durch die Hintertür verschwindet.
Am nächsten Tag kommen die Leute wieder. Diesmal bin ich draußen im Freien und kann sie sehen, mit meinem Raumsinn wahrnehmen. Ich spüre den Blick ihrer Augen, während sie oben auf dem Heuwagen stehen, auf den sie hinaufklettern dürfen, wenn sie ihr Geld bezahlt haben. Ich lausche ihrem Geschwätz,
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