Werwelt 02 - Der Gefangene
Er lacht wieder und schaut zu mir hinauf. »He, Bär«, sagt er laut, »warum tanzt du unseren Kunden nicht morgen mal was vor? Dann machen wir einen Haufen Geld und kaufen dir einen neuen Käfig.«
Immer noch lachend steigt er auf der Fahrerseite in den Lastwagen, und der andere Mann klettert auf der gegenüberliegenden Seite hinein. Nachdem man mich in das Haus gefahren hat, vermutlich, damit die ›Kunden‹ mich nicht sehen können, bevor sie ihr Eintrittsgeld bezahlt haben, läßt man mich lange Zeit allein. Es wird immer heißer, und allmählich beginne ich mich zu fragen, ob mir wohl jemand Wasser bringen wird, oder ob ich jemanden aus dem Haus zu mir holen muß.
»Verschwinden wir hier.« Die Stimme kommt von innen. Barry ist plötzlich ans Bewußtsein emporgestoßen, als hätte er irgendwo gewartet, ohne daß ich es gemerkt habe. Ein gespenstisches Gefühl ist das, und mir fällt auf, daß meine Sinne sich aus der äußeren Umgebung zurückgezogen haben, sobald er sprach. Er scheint einen Teil meines Wahrnehmungsvermögens mit Beschlag zu belegen, wenn er präsent wird, und sei es auch nur innerlich.
Das geht nicht. Hab Geduld. Sie können uns erst verkaufen, wenn die Untersuchung abgeschlossen ist. Das hab’ ich eben gehört. Wir sind also mindestens noch ein paar Tage sicher.
»Wir müssen jetzt von hier weg.«
Nicht jetzt. Barrys Unfähigkeit, die Tatsachen seiner eigenen Existenz klar zu sehen, macht mich gereizt. Sachte schiebe ich seine Persönlichkeit weg, um sie in die Tiefe zu drücken. Ich treffe auf unerwartet starken Widerstand.
»Brich aus!« sagte er entschlossen. »Das schaffst du leicht. Du brauchst nur den jungen Burschen herauslocken. Er hat jetzt wahrscheinlich den Schlüssel.«
Hast du denn mitgehört?
»Natürlich. Warum nicht? Ich will hier raus.«
Ich bin sehr erstaunt. Früher war ich es immer gewahr, wenn Barry in irgendeiner Form präsent war. Diesmal scheint er gegenwärtig gewesen zu sein, ohne daß mir bewußt wurde, daß er meine Wahrnehmungen teilte. Mir wird ganz seltsam zumute. Ich bin jetzt nicht sicher, welcher von uns beiden der Wahrnehmende ist. Zu schwierig. Mit Kraft kämpfe ich den Menschen hinunter, und er verschwindet.
Ich habe Durst. Ich schicke meine Sinne durch den Hof zum Haus. Draußen ist kein Mensch, nicht mal mehr ein Wächter. Eben bin ich dabei, meine Willenskraft auf das Haus zu richten, als die Hintertür sich knarrend öffnet und die alte Frau im geblümten Kleid herausgeschlurft kommt. Sie trägt zwei Dosen mit Hundefutter in ihren Händen und geht um das Haus herum, um den Gartenschlauch zu holen. Sie leert das Hundefutter in die große flache Schale und schiebt diese, am Heck des Lastwagens stehend, durch die untere Ritze in den Käfig. Ich bleibe auf der anderen Seite, um sie nicht zu erschrecken. Ich fühle ihre alten Augen auf mir. Sie versetzt dem Napf einen Stoß, so daß er über den Boden zu mir hinrutscht. Die beiden Häufchen Hundefutter sehen aus wie Pferdemist auf einem Teller. In ihrer anderen Hand hält sie den Schlauch, aus dem ein dünner Wasserstrahl läuft. »Du dreckiges, gemeines Vieh«, sagt die alte Frau leise, während sie mich aus haßerfüllten Augen anstarrt. »Du hast meinen Jungen umgebracht.«
Ich halte den Kopf von ihr abgewandt, doch meine Sinne sehen sie klar – das schlaff herunterhängende graue Haar, den zahnlosen Mund, die haßglühenden, eingesunkenen Augen, hellblau und voller Schmerz.
»Ich hab’s ihm gleich gesagt, daß du über uns herfallen würdest, sobald es dir wieder gut geht.«
Ich spüre ihre knotigen, dürren Hände, die hinten auf dem Lastwagen liegen. Wasser spritzt aus dem Schlauch, ergießt sich plätschernd auf den Boden. Mir brennt der Mund vor Durst. Ich halte den Kopf unter meinen Vorderläufen und bemühe mich, geduldig zu sein, ihr nicht meinen Willen aufzuzwingen.
»Du widerliches, ekelhaftes Vieh. Wenn ich ein Gewehr hätte, würde ich dich mit meinen eigenen Händen erschießen. Aber Bee und der Junge brauchen dich jetzt wahrscheinlich wegen des Geldes.«
Ich lausche ihr so aufmerksam und bin so absorbiert von meinem Verlangen nach dem Wasser, das da nutzlos auf den Boden rinnt, daß ihre nächsten Worte mich völlig unerwartet treffen, und ich ohne zu überlegen reagiere.
»Los, dreh den Eimer um, damit ich ihn vollmachen kann.«
Ich drehe den Eimer um. Ertappt, hebe ich im selben Moment den Kopf und blickte ihr direkt in das erstaunte Gesicht. Sie hält den Blick eine
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