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Werwelt 02 - Der Gefangene

Werwelt 02 - Der Gefangene

Titel: Werwelt 02 - Der Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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Sie und Mina machten das Beste daraus, wenn es ihnen auch nicht behagte, daß der Wachtposten sie mit dem Gewehr auf dem Arm jede Sekunde beobachtete.
    Als Bill etwa drei Stunden später zurückkehrte, brachte er viel mehr Lebensmittel mit als sie bestellt hatte, und sie hörte die Männer von den ›anderen‹ sprechen, die am Abend eintreffen würden. Während sie mit den Vorbereitungen zum Essen beschäftigt war, konnte sie nicht umhin, darüber nachzudenken, was hier eigentlich vorging. Das Plausibelste, was ihr einfiel, war, daß hier irgendeine verbrecherische Verschwörung stattfand; vielleicht plante man einen großen Bankraub oder sonst irgendeinen Coup, zu dessen Durchführung man mehrere Leute brauchte, viele Waffen und einen ›führenden‹ Kopf, zweifellos Ludwigs Rolle. Aber sie konnte das alles nicht ernst nehmen. Es war ein Spiel. Die Männer benahmen sich, als stünden sie auf einer Bühne, wie Theatersoldaten in einer komischen Oper.
    Nach dem Essen jedoch erfuhr sie, daß das Spiel ernst war – für sie jedenfalls. Vor den anderen nämlich gab ihr Bill, für ihre Aufsässigkeit, wie er sagte, einen Schlag ins Gesicht, daß sie gegen die Wand flog. Minutenlang konnte sie nur dastehen und sich das Gesicht halten, so weh tat es. Sie fühlte nichts als den Schmerz in ihrem Auge und auf ihrer Wange, und sie schluchzte wie ein Kind, obwohl sie sich krampfhaft bemühte, ihre Fassung wiederzufinden. Ja, dachte sie, als sie wieder denken konnte, ja, es ist ernst.
    Der Abend verlief ähnlich wie der vorhergehende. Die Männer saßen redend und trinkend beisammen, bis kurz nach Einbruch der Dunkelheit die Motorengeräusche mehrerer Autos laut durch den Wald klangen. Das Trampeln vieler Füße auf der kleinen Veranda verkündete, daß der Rest der ›Einheit‹ eingetroffen war.
    Renee spähte durch eine Ritze in der Tür hinaus, doch sie konnte nicht erkennen, wie viele Leute es waren. Sie sah nur, daß der Raum voller rauchender und trinkender Männer war, die um Wiggy herumscharwenzelten, als wäre er ein kleiner Napoleon am Vorabend der Schlacht. Wenige Minuten später zogen sie alle wieder ab. Sie hörte das Knallen von Autotüren, die Stimmen der Männer entfernten sich und verklangen. Sie kniete mit Mina nieder, um ein Abendgebet zu sprechen, und dann erzählte sie der Kleinen eine Geschichte von Puh, dem Bären, so gut sie sie in Erinnerung hatte, und wenn sie ins Stocken geriet, half Mina ihr weiter. Es war ein bißchen stickig in dem kleinen Raum, weil das Fenster sich nur einen Spalt öffnen ließ, doch es war ruhig, und sie hatten es für sich allein, wenigstens so lange, bis Bill zu Bett kam. Als Minas Hand der ihren entglitt, und sie wußte, daß das Kind eingeschlafen war, erlaubte sie es sich, ein bißchen zu weinen und an Barry zu denken, ehe sie ebenfalls einschlief.
    Als sie am folgenden Morgen erwachte, konnte sie sich nicht erinnern, ob Bill überhaupt ins Bett gekommen war, und sie dankte dem Himmel dafür. Die Männer waren schon alle draußen. Sie hörte ihr Gebrüll und das Krachen von Schüssen, während sie für die fünf Leute, die in der Blockhütte lebten, das Frühstück machte. Die anderen wohnten, wie sie später hörte, in einer größeren Hütte etwas weiter unten am Berg und hatten ihre eigenen Vorräte, vermutlich auch ihren eigenen Koch. Als sie abgeräumt und gespült hatte, fragte sie Clyde, der wieder Wachdienst hatte, ob sie und Mina wieder einen Spaziergang machen könnten wie am Vortag. Er nickte brummend, während er, auf den Verandastufen sitzend, in einer Zeitschrift blätterte. Das Gewehr trug er wie immer in der Beuge seines Arms.
    Glücklich, der Hütte entkommen zu können, machten sie und Mina sich auf den Weg, hielten nach verschiedenen Vogelarten Ausschau, um sie beim Namen nennen zu können, begutachteten aufmerksam jeden Baum und jedes Insekt. Wie zwei junge Wissenschaftler, die Feldstudien betreiben. Mina durfte außer zu diesen Morgenspaziergängen die Hütte nicht verlassen, und Renee empfand tiefes Mitgefühl mit dem kleinen Mädchen, das sich so sehr bemühte, geduldig und vernünftig zu sein, obwohl es sich gewiß danach sehnte, mit anderen Kindern herumzutollen und zu spielen. Sie dachten sich verschiedene kleine Spiele aus, liefen zwischen den Bäumen um die Wette, spielten Fangen, warfen Tannenzapfen auf ein vorgegebenes Ziel und rannten, den Lauf einer Acht nachzeichnend, von der großen Föhre zum nächsten hangabwärts stehenden Baum, als

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