Werwelt 02 - Der Gefangene
bietend.
»Guten Tag«, sagte er, und Renee bemerkte, daß er schielte, so daß man nicht genau erkennen konnte, worauf sein Blick gerade gerichtet war.
Sie vermutete, daß er sie ansah, nahm die Hand, die kühl und knochig war und die die ihre einmal kurz schüttelte, ehe sie herabsank.
»Guten Tag«, sagte sie.
»Ich bin Ludwig«, erklärte der kleine Mann. »Das ist mein Nachname und auch mein Vorname, da mich alle hier so nennen. Das heißt manchmal«, fügte er hinzu, während er zu Mina hinunterblickte und einen Mundwinkel zu einem Lächeln verzog, »werde ich auch Wiggy genannt.« Er wandte sich Bill zu. »Sei mir gegrüßt, William«, sagte er, und Bill schlug die Hacken seiner Stiefel zusammen, daß es klirrte, knickte seinen Körper in der Mitte zu einer kurzen Verbeugung.
Renee war baff. Sie hatte noch nie erlebt, daß Bill sich so lächerlich benahm, und im ersten Moment hätte sie beinahe gelacht. Dann aber sah sie das Gesicht des kleineren Mannes und erkannte, daß es den beiden ernst war, ungemütlich ernst. Als spielten sie in einem Theaterstück, das sie sich selbst ausgedacht hatten. Oder, ging es Renee etwas später durch den Kopf, als wären sie beide verrückt.
Das Kochen bot wenigstens auch eine gewisse Möglichkeit der Flucht, dachte Renee, während sie die mageren Bestände durchsah, die in der Hütte vorrätig waren. Zu allem, was mit dem Kochen und dem Saubermachen zu tun hatte, war ihr freier Zugang gestattet, alles andere, außer dem Zimmer, in dem sie mit Mina und Bill schlief, war verbotenes Terrain. Bill hatte sie in der vergangenen Nacht nicht angerührt. Sie war so froh darüber, daß sie sich einbildete, er hätte ihren heftigen Widerwillen gespürt. Aber vielleicht war er auch nur stark betrunken gewesen, denn die drei Männer hatten noch lange aufgesessen, nachdem sie und Mina zu Bett gegangen waren. Sie hatten noch immer getrunken und sich mit gesenkter Stimme unterhalten, als sie endlich eingeschlafen war. Mina war in ihrem kleinen Rollbett sofort in tiefen Schlaf gefallen. Davon, daß sie viel später in der Nacht aufgewacht und aufgestanden war, hatte niemand etwas gemerkt, denn die Erwachsenen hatten alle geschlafen.
Der Ofen funktionierte einigermaßen, der Vorrat an Geschirr und Töpfen war ausreichend. Ein Spülbecken gab es nicht, aber zum Geschirrwaschen reichte eine große Schüssel, die draußen am Brunnen mit Wasser gefüllt wurde. Ihren Mülleimer mußte immer der Dicke, Lowden, hinaustragen, weil es ihr nicht gestattet war, die hundert Meter bis zur Müllhalde hinunterzugehen. Jedesmal, wenn sie oder Mina zu dem windschiefen alten Plumpsklo hinausmußten, wurden sie von Bill oder Lowden begleitet, je nachdem, wer gerade Wache hatte. Ihr graute vor diesen Gängen, weil das alte Holzhäuschen voll Wespennester war. Voller Angst saß sie jedesmal auf dem primitiven Klo, während die Wespen ihren Kopf umkreisten und durch die großen Ritzen zwischen den Brettern hinausschossen. Wenn sie Bill fragte, ob man dagegen nicht etwas tun könnte, lachte er nur grob und versetzte, solange sie die Wespen sehen könnte, wär’s ja gar nicht schlimm. Sie sollte lieber vor denen Angst haben, die sie nicht sehen könnte. Danach verlor sie kein Wort mehr darüber.
Sie stellte eine Liste der Dinge zusammen, die sie brauchte, um einigermaßen anständig zu kochen. Bill lehnte viele dieser Wünsche mit der Begründung ab, daß das nur Mätzchen wären, doch dann kam Ludwig herein und sagte, sie könnte die bestellten Sachen haben. Er befahl Bill, in den Ort zu fahren, wobei er nur eine Kopfbewegung machte, nicht aber den Namen der Ortschaft nannte, offensichtlich, um sie im unklaren darüber zu lassen, wo sie sich befanden. Bill fuhr allein zum Einkaufen, allerdings nicht, ohne ihr noch einen drohenden Blick zugeworfen zu haben, als er zur Tür hinausging. Nachdem sie das Geschirr geordnet, die Betten gerichtet hatte, wo Lowden und Ludwig geschlafen hatten, und schließlich ihr Zimmer gemacht hatte – verrückt, schoß es ihr durch den Kopf, es einfach ›ihr‹ Zimmer zu nennen –, baten sie und Mina Lowden um Erlaubnis, unter Bewachung einen Spaziergang machen zu dürfen.
Der Dicke, der mit Vornamen Clyde hieß, erklärte, sie könnten sich nur so weit vom Haus entfernen, wie er sie von der Veranda aus noch gut sehen könnte. Das hieß, im Dreieck von der Hütte zu der großen Föhre ein Stück hügelabwärts, und wieder zurück zu dem windschiefen kleinen Klosetthäuschen.
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