Werwelt 02 - Der Gefangene
Flanke eines Berges hingen, wo die Luft kühl war und der Duft der Fichten kräftig und angenehm. Es folgte ein letztes schnurgerades Stück, steil aufwärts, dann eine scharfe Linkskurve, die in dichten Wald hineinführte, wo die biegsamen grünen Äste kratzend gegen den Wagen peitschten, der über den unebenen Pfad rumpelte.
Als der Wagen anhielt, sah Renee eine aus Baumstämmen erbaute Hütte mit einer primitiven, aus Brettern gezimmerten Veranda und einem steinernen Kamin. Auf der Veranda stand ein beleibter Mann, der eine Reithose trug wie Bill und in der Beuge seines Arms ein Gewehr. Er sah aus wie ein Wachposten.
»Los, Renee, weck das Kind. Wir sind da.«
Bill stieg aus, straffte seinen gekrümmten Rücken und streckte sich. Renee wollte Mina auf den Arm nehmen, doch das Kind wachte auf und bestand darauf, zu laufen. Die Luft war rein und klar, gewürzt mit dem Duft der Wälder, und sie atmete sie tief ein. Sie wollte an nichts anderes denken als an das Hier und Jetzt.
»Wen hast du denn da mitgebracht, Billy?« fragte der Dicke. Sein Gesicht wirkte aufgeschwemmt, und sein Hals rollte sich in Fettwülsten über dem Hemdkragen.
»Meine Frau und meine Tochter«, erwiderte Bill. Er nahm Renees Arm und zog sie mit sich, als er zur Veranda hinaufstieg. »Sie kann für uns kochen, aber sie ist meine Frau und nicht irgendeine Hure, die jeder haben kann.«
Der Mann mit dem schwammigen Gesicht lachte und ging zum Ende der Veranda, wo er ausspie.
»Wenn sie kocht, reicht mir das vollkommen. Ich hab’ sowieso die Nase voll von deinen Bohnen.«
Die Hütte war geräumiger als man von außen vermutet hätte. Sie bestand aus einem einzigen großen Raum mit einem Tisch und Bänken, Stockbetten an den Wänden und einem offenen Kamin. An der einen Wand stand ein rußgeschwärzter Kerosinofen, dessen Brenner verbogen und rostig waren. Renee sah ihn sich an und dachte daran, daß ihre Mutter früher einmal auf einem solchen Ding gekocht hatte. Wenn die Dochte in den Brennern noch brauchbar waren, konnte sie darauf kochen. Ihre einzige Hoffnung, dachte sie, bestand darin, zu tun, was sie von ihr verlangten, bis Barry und die Polizei ihre Spur aufnehmen konnten und sie fanden. Doch so weit wollte sie jetzt gar nicht denken.
Zu beiden Seiten des offenen Kamins befanden sich massive Fichtentüren mit Riegeln und Lederriemen gesichert. Bill ging zu der Tür auf der linken Seite und öffnete sie. Dahinter zeigten sich ein durchgelegenes Doppelbett auf einem selbstgezimmerten Gestell, zwei Wandborde und ein winziges Fenster, etwa zwanzig mal zwanzig Zentimeter klein, das hoch oben in der Rückwand saß.
»Hier bleiben wir jetzt vorläufig mal«, verkündete er. »Auf jeden Fall so lange, bis der Rest der Einheit sich organisiert hat. Dann ziehen wir in ein besseres Quartier um.«
Renee hatte keine Ahnung, was er da redete. Sie sah sich in dem kleinen Kämmerchen um.
»Und wo soll Mina schlafen?«
Bill bückte sich und zog ein niedriges Rollbett unter dem großen Bett hervor. Es war ebenfalls selbst gezimmert, aber mit liebevoller Hand offensichtlich. Die Bretter des Rahmens waren durch Holzzapfen miteinander verbunden. Es sah nicht nur stabil aus, sondern auf eine eigene Weise schön. Kleine Holzrollen saßen unten an den kurzen Beinen, so daß man es leicht unter das andere Bett schieben konnte.
Mina kniete nieder und begutachtete das Bett. Dann blickte sie lächelnd zu ihrer Mutter auf.
»Es ist ein richtiges Puppenbett«, sagte sie.
»Was ist in der anderen Kammer?« fragte Renee, als sie in den großen Raum zurückkehrten. Sie streckte die Hand zu der zweiten Tür aus. Bill packte sie grob am Arm und riß sie zum Ofen und dem Regal zurück, in dem die Konserven standen.
»Das geht dich nichts an«, sagte er. »In der Kammer hast du nichts zu suchen, und die Kleine auch nicht. Bleib da ja weg, sonst könnt ihr beide was erleben.«
Renee begriff nicht, wieso Bill plötzlich diesen Ton anschlug, einen scharfen Feldwebelton wie aus einem schlechten Film über die Engländer in Indien. Er benahm sich, als stünden hinter allem, was er sagte und dachte, feste Regeln und Vorschriften.
In diesem Moment waren draußen auf der Veranda Schritte zu hören, dann öffnete sich die Tür, und ein kleiner, älterer Mann mit einem dünnen Haarkranz um den kahlen Schädel trat ein. Sein Kopf schien schief auf seinem Hals zu sitzen. Er lehnte ein Gewehr an die Wand neben der Tür und trat näher, Renee in höflichem Gruß die Hand
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