Werwelt 02 - Der Gefangene
Renee einen kurzem dumpfen Knall hörte, dem das Krachen des Gewehrs auf der Veranda folgte. Zu Tode erschrocken fiel sie auf die Knie und blickte zur Hütte zurück, wo Clyde soeben das Gewehr senkte.
»Zu weit«, brüllte der Dicke.
Er hatte auf sie geschossen. Nur weil sie die vorgeschriebenen Grenzen um ein paar Meter überschritten hatten. Renee sah sich um. Von hier aus konnte sie die andere Hütte sehen, größer als die, in der sie wohnten, und mit einem großen Schild über der Tür. Sie kniff die Augen zusammen, um die Aufschrift lesen zu können. ›Abteilung 121, Pfadfindertruppe Manzano‹. Guter Gott, sie wohnten in einem Pfadfinderlager. Sie rief nach Mina, die recht trotzig etwas weiter unten stand und zu dem Dicken hinaufblickte, der noch immer sein Gewehr in Anschlag hielt. Die Kleine wandte sich ihr zu, und in ihren Augen flammte ein Funke wilder Entschlossenheit auf. Abrupt drehte sie sich um und rannte, so schnell sie konnte, den Hang hinunter.
»Mina! Komm zurück!« rief Renee entsetzt und rannte ihr nach.
Wieder hörte sie über ihrem Kopf so einen dumpfen Knall, dem das Krachen des Gewehres folgte. Sie rannte weiter, voller Angst um ihr Kind, stürzte den Hang hinunter, um es einzufangen, ehe dieser Wahnsinnige mit dem Gewehr es tötete. Noch einmal hörte sie das Krachen des Gewehrs, ehe sie Mina einholte, dann hatte sie sie, und sie stürzten beide keuchend zu Boden und klammerten sich voller Angst aneinander.
»Mina«, stieß Renee hervor, das Kind ganz fest an sich gedrückt, »das sind böse Männer. Du darfst nicht weglaufen.«
Sie blickte auf, als sie den schweren Schritt schneller Stiefel auf dem Waldboden hörte, und sah Bill in großen Sprüngen den Hang hinunterlaufen. Sie stand auf, als er näherkam. Durch die Bäume hindurch sah sie undeutlich Clyde, der noch immer auf der Veranda stand. Bills Gesicht war verzerrt vor Wut, und Renee, die neuerlich brutale Schläge fürchtete, verlor den Kopf und floh, rannte und rutschte über den nadelbesäten Boden des Waldes, bis er ihr von hinten einen wuchtigen Hieb versetzte. Wie ein gestrecktes Reh stürzte sie zu Boden, schlitterte noch ein Stück weiter, bis ein Baum sie aufhielt. Blitzschnell hatte er sich auf sie geworfen, drückte ihren Körper zu Boden, während er gleichzeitig wie ein Rasender an ihrem Rock riß.
Im ersten Moment begriff sie nicht, was er da tat, doch als dann seine Hände ihren Körper mit Gier umschlossen, verstand sie. Sie sah Mina, nicht mehr als fünfzig Meter entfernt, hörte das Keuchen des massigen Mannes in ihren Ohren, während er sie zu Boden drückte. Da packte sie mit beiden Händen seinen Kopf und grub ihm ihre Nägel in Hals und Wange, während sie ihren Mund ganz nah an sein Ohr brachte.
»Bill«, zischte sie mit zusammengebissenen Zähnen, »wenn du mir das vor Mina und diesem Menschen da hinten antust, bringe ich dich um. Dann beiß ich dir die Halsschlagader durch, du Schwein, und schlag dich tot, während du schläfst. Wenn du das jetzt tust, dann mußt du mich töten.«
Sie schlug ihm ihre Fingernägel wie Klauen in die Haut, so wahnsinnig wie er, die Zähne entblößt, bereit zuzubeißen.
Da kam er zur Besinnung. Er ließ von ihr ab, stand auf, blickte kopfschüttelnd zu ihr hinunter, während er mit den Fingern seinen Hals betastete, aus dessen Wunden Blut auf sein Hemd quoll. Auch sie stand auf und warf ihm dabei einen Blick zu, der voller Haß war. Wortlos sah er weg, senkte den Blick zu Boden und folgte ihr stumm den Hang hinauf zur Hütte, während Mina herbeilief, um ihre Mutter bei der Hand zu nehmen.
Als sie an diesem Abend in ihrer kleinen Kammer lagen, und die Gute-Nacht-Geschichte erzählt war, fragte Mina: »Können wir Barry nicht antelefonieren und ihm sagen, daß er uns jetzt holen soll?«
»Hier oben gibt es kein Telefon, Liebes, ich glaube, die Männer hier möchten gar nicht, daß Barry uns holt.« Unfähig, mehr zu sagen, brach sie ab.
»Papa ist so böse«, sagte Mina, während sie sich in ihr kleines Bett kuschelte. »Wenn er dir nochmal weh tut, Mami«, fügte sie mit zusammengekniffenen Augen hinzu, »dann sagst du’s mir, und ich sag’s der guten Miezekatze.«
»Du brauchst keine Angst um mich zu haben, Mina. Mir passiert schon nichts«, versicherte Renee, und um das Thema zu wechseln, fragte sie: »Was ist das eigentlich für eine große Miezekatze, von der du da erzählst? Ich dachte, die hättest du zu Haus gelassen.«
»Ja, das schon, aber sie ist
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