Werwelt 03 - Der Nachkomme
tauche in die kalte Strömung und schwimme in die Bucht hinaus. Vorübergehend ta u chen meine Ohren ins Wasser ein, und ich höre rund um mich herum die Geschöpfe des Wassers schwimmen, kri e chen, peitschen. Mein Raumsinn tastet sich in die Tiefe, ich erspüre den sandigen Grund und das Leben, das dort g e deiht, mit solcher Schärfe, daß mir ein Kribbeln reinen Vergnügens über die ganze Haut läuft. Ich bin ganz en t zückt von meinem muskulösen Körper, der sich in dem eiskalten Element zu Hause fühlt. Im dunklen Wasser taste ich nach etwas Soliderem als den Schalentieren, die ich mir greifen könnte, oder den schläfrigen Flundern, die still im Sand liegen. Wie ein greifbarer Schatten dringt er in den Bereich meines Raumsinns ein, wie er nahe beim Ufer tr ä ge nach einem späten Imbiß Ausschau hält, ein dickleibiger Fisch, halb so lang wie ich selbst. Langsam, im Rhythmus mit den Bewegungen des Fisches, paddle ich im kalten Wasser und sende die Kräfte meines Geistes aus, dieses kalte, gespannt lauernde Gehirn zu berühren, ihm mit me i nem eigenen zu lauschen. Seit langem schon fehlt mir die einstrahlig gebündelte Willenskraft, die mir den Fisch hil f los ins geöffnete Maul treiben würde, doch ich kann seine Absichten erspüren, indem ich mich in seine Weise des Seins hineinfallen lasse. Ich paddle leicht, gerade so viel, um meine Nase über Wasser zu halten und dem Fisch zu folgen, der nahe am Boden näher kommt. Jetzt schwimmt er direkt unter mir, und ich wende, um ihm ins seichtere Wasser zu folgen. Er scheint meiner nicht gewahr zu sein. Ich fühle seinen Geist, der wie ein kalter, geschliffener Edelstein ist und nur einen einzigen blitzenden Strahl von Intelligenz aussendet: Das immerwährende Bemühen, sich den Bauch zu füllen.
Jetzt spüre ich, daß er die Untiefen wahrnimmt und An s talten macht zu wenden. In dem Moment, wo er sich dreht, folge ich seiner Bewegung, so daß er unter mir hindurc h gleiten muß, und dann lege ich mich auf die Lauer, leise schwankend auf den hereintreibenden Wellen. Der glatte runde Körper kommt unter mir so nahe an mich he r an, daß sich mir vor Wonne die Nackenhaare sträuben und – jetzt! Ich tauche und packe ihn sauber mit beiden Vo r derpfoten, schlage meine Krallen tief in das feste Fleisch, während der Fisch einen mächtigen Sprung macht und mich hinunte r zieht. Ich wehre mich nicht, sondern lasse mich von ihm zum Grund hinunterzi e hen, und dort schlage ich ihm auch noch die Krallen meiner Hinterpfoten ins Fleisch und töte ihn mit einem raschen Biß hinter dem Kopf.
Den Kopf hocherhoben trotte ich aus dem Wasser, und das Gewicht des großen Fisches spannt meine Nackenmu s keln, während ich triefend aus der Brandung herauswate. Ich mag sandigen Fisch nicht, deshalb trage ich ihn, anstatt ihn durch den Sand zu schleifen. Erst als ich die Felsen erreicht habe, lasse ich ihn fallen und schüttle mich ein paarmal kräftig, so daß das Salzwasser nach allen Richtu n gen um mich spritzt. Außen ist der Fisch fest und kalt, i n nen ist er warm und blutig. Er schmeckt so gut, daß ich nach ein paar Bissen eine Pause einlegen und vergnügt um ihn herumspringen muß. Einmal lege ich mich auch auf den Rücken, halte den Fisch mit allen vier Pfoten und suc k le an ihm herum wie ein Menschenkind an seinem Fläsc h chen.
Nach dieser köstlichen Mahlzeit säubere ich mich gründlich und fühle mich nun völlig reingewaschen von meiner nächtlichen Arbeit bei dem Kranken. Gefährlich kann mir mein Bemühen um kranke Menschen nur dann werden, wenn ich versehentlich ihre unglückseligen seel i schen Verdrehtheiten in mich aufnehme. Die körperlichen Gifte lassen sich leicht ausmerzen, indem ich mich ein paar Stunden lang einfach meines eigenen Daseins erfreue.
Später, auf dem Weg, der mich dem Strand entlang zur Stadt zurückführt, spüre ich ein Ziehen, so als wäre etwas in meinem Innern mit einer langen Schnur an ein fernes Objekt gebunden, das von mir wegstrebt. Es ist wie das Ziehen mit dem sich manchmal eines meiner früheren Menschenwesen bemerkbar macht, das wieder erwachen möchte, jedoch nicht weit genug ans Bewußtsein empor d ringen kann, um zu sprechen. Ich halte inne und durchfo r sche jene Leere, in der meine Menschenwesen noch wa r ten, alle außer dem Jüngsten, das den Weg se i nes eigenen Schicksals gegangen ist. Doch keines von i h nen ist wach. Sie warten, in mir gefangen, und sprechen nicht. Das Zi e hen kommt aus der nahen Zukunft; da
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