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Werwelt 03 - Der Nachkomme

Werwelt 03 - Der Nachkomme

Titel: Werwelt 03 - Der Nachkomme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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umsonst auf einen Brief von Dir gewartet, aber glaub bitte nicht, daß ich Dir Vorwürfe m a chen will. Ich möchte Dir nur so gern erzählen, was ich hier alles unternommen habe, während ich auf Deine Rückkehr warte. Ich bin so glücklich, wie noch nie in me i nem Leben, auch wenn das noch sehr jung ist – Du weißt, was ich meine. › Sie ‹ ist rastlos und sagt, daß wir vielleicht nicht sehr lange hier bleiben werden. Ich verstehe nicht, warum sie von hier fort muß, wohin wir dann ziehen wü r den, aber ich höre da so einen ominösen Unterton, dem ich entnehme, daß ich vielleicht gar nicht mit ihr gehen werde – auch hier weißt Du ja, was das für uns bedeuten würde.
    Aber kurz und gut, ich hab ’ mich jedenfalls nach Wo h nungen umgesehen, die näher bei Boston sind, und ich h a be schon zwei Prachtexemplare gefunden. Sie sind beide ziemlich teuer, aber wenn wir beide arbeiten, müßte es leicht reichen. Mir gefällt besonders eine davon; sie hat ein großes Erkerfenster mit Blick auf den Fluß und die Bucht. Ich finde, so ein Erker ist etwas unheimlich Gemütliches, und ich stelle mir schon vor, wie wir beide da sitzen und Tee trinken. Ich hab ’ auch schon ein paar Sachen für die Wohnung gekauft, Bo. Ein kleines Teeservice und eine hübsche Brücke, die man überall hinlegen kann. Ich mußte sie einfach kaufen, weil sie deine Lieblingsfarbe hatte, ein tiefes Indigoblau. So dunkel wie der Nachthimmel. Sie g e fällt Dir bestimmt.
    Ich hoffe, ich bekomme bald einen Brief von Dir, aber ich weiß natürlich, daß Du jetzt zu Hause Schlimmes durchmachst. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich so e t was aushalten würde, und es macht mich ganz traurig, wenn ich an Dich denke, Bo. Ich liebe Dich sehr, und ich wünsche mir, daß Du so bald wie möglich zurückkommst. Vergiß mich nicht, Bo. Ich liebe Dich.
    Lilly. ‹
    › 12. Januar, 1938
    Liebste Lilly,
    ich hab ’ Deinen Brief bekommen, gleich nachdem ich meinen aufgegeben hatte. Es war wunderbar, von Dir zu hören, Liebes. Ich weiß schon jetzt, daß mir jede Wohnung gefällt, für die Du Dich entscheidest, tu also ruhig, was Du für richtig hältst. Vergiß aber nicht, daß ich erst um den ersten Februar herum kommen kann.
    Eine Wohnung mit Blick auf den Fluß und die Bucht, herrlich! Die Wohnung, die Du da ausgesucht hast, ist s i cher eine Pracht. Weißt Du, Liebes, ich bin jetzt wirklich ein anderer Mensch. Ich werd ’ überhaupt nicht mehr w ü tend oder gereizt, nicht einmal über Mary Louises erbär m lichen Anwalt. Ich hab ’ versucht, ihr klarzumachen, daß er ihr nur nach dem Mund redet, aber sie gibt gar nichts mehr auf mein Wort, und eigentlich nehme ich ihr das auch nicht übel.
    Ja, Lilly, es gibt nicht viel zu erzählen. Die Tage schle p pen sich so hin. Ich schlafe im Gästezimmer und esse au s wärts und bemühe mich, bei Kneipe einen jungen Grü n schnabel anzulernen, der von Tuten und Blasen keine A h nung hat. Vergiß nicht, daß ich Dich mehr liebe als alles andere auf der Welt. Es dauert jetzt nicht mehr lange.
    In inniger Liebe,
    Bo. ‹
    Seit sich Ende Dezember die ersten Anzeichen der Wan d lung zeigten, wandere ich jede Nacht den felsigen Strand entlang. Der Wind ist immer kalt und geschwängert mit eisiger Gischt, und die eisüberkrusteten Felsen glitzern im Mondlicht. Mit jeder Nacht, die den Moment näher bringt, wo der Mond seine volle Rundung erreicht, spüre ich den Ruf des anderen stärker. Was das für ein Ruf ist oder wo er herkommt, darüber weiß ich so wenig wie fr ü her über den Grund meines Erdendaseins. Doch den kenne ich jetzt w e nigstens. Die Wandlung – oder, wie ich es in mir selbst empfinde, das Erwachen – gab Antworten auf Fragen, die ich gar nicht zu stellen wußte. Lillys Liebling s gedicht geht mir durch den Kopf, während ich vor mich hinwandere, geistesabwesend auf beinahe menschliche Weise. Meine Lebensfreude war früher nur die der Vögel, von denen das Gedicht spricht, wenn es sagt, › ich bin ’ s z u frieden, wenn erwachte Vögel vor ihrem Flug durch ihre süßen Fragen die Wirklichkeit dunstiger Felder prüfen ‹ .
    Ich fragte durch nichts anderes als mein eigenes Dasein, das Spiel geschmeidiger Muskeln, den Sprung ins stille Wasser, die Hitze der Jagd und des Erlegens. Doch jetzt fühle ich; so, wie in einem späteren Teil des Gedichts jene Mädchen, › die stillesitzend in das Gras zu ihren Füßen blickten … Die Mädchen suchen und durchstreifen glühend das gefallene Laub

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