Werwelt 03 - Der Nachkomme
darin, wie ein Vogel in einem gutgebauten Nest. In der Mitte des Raumes glomm ein kleines Feuer, von Asch e häufchen umgeben, die davon erzählten, daß es schon viele Tage brannte. In der Ecke unter dem Regal schlu m merte eine Katze, um das häusliche Idyll abzuru n den.
»Das ist ja toll«, sagte Barry. »Ein richtiges Somme r haus.«
»Ja, so nennen wir es auch«, erklärte Johnny.
Er hockte auf dem Boden, an eine zusammengerollte Decke gelehnt, die er aus dem Strohkoffer genommen ha t te. Von draußen kamen die regelmäßigen Schläge der Axt.
»Wenn das hier die westliche Zivilisation wäre, dann würde einer von uns beiden jetzt da draußen das Holz h a cken«, bemerkte Barry, der sich wirklich nicht recht beha g lich fühlte.
»Die Küche ist ihr Ressort«, versetzte Johnny. »Sie wäre beleidigt, wenn ich ihr sagte, daß sie zu schwach ist, um Holz zu ha c ken.«
»Wo ist denn deine übrige Familie?«
»Die Kinder treiben jetzt wahrscheinlich gerade die Schafe nach Hause«, antwortete er und streckte sich aus, den Hut über die Augen schiebend. »Und die Männer sind entweder auf dem Heimweg vom Handelsgeschäft, nicht von dem, bei dem wir waren«, fügte er hinzu, »oder sie sind oben im Dorf und bereiten alles für die Feier morgen Abend vor.«
»Wird das so eine Peyote-Feier?« fragte Barry.
»Es war ’ nett, wenn Sie dieses Wort hier im Haus nicht gebrauchen würden«, erwiderte Johnny, ohne sich zu rü h ren. »Meine Mutter versteht ein bißchen Englisch, und sie hat was gegen die Native American Church. Ihr paßt das Ganze nicht.«
In diesem Moment kam ein Mann, den Hut in der Hand, in gebückter Haltung durch die niedrige Türöffnung. Seine Augen blickten hart, und sein Mund verzog sich unfreun d lich, als er Barry sah.
Verlegen stand Barry auf, wußte nicht, ob er dem Mann die Hand bieten sollte oder nicht. Doch Johnny war zu gleicher Zeit aufgesprungen und lächelte dem Neua n kömmling entgegen, dessen Gesicht sich aufhellte, als er den jüngeren Mann erblickte. Es folgte ein kurzer Wor t wechsel auf Navajo, bei dem der Mann Johnny mehrmals auf die Schulter klop f te.
Er war klein, mit einem verwitterten Gesicht. Beim G e hen hielt er sich deutlich gekrümmt. Er hätte jedes Alter zwischen vierzig und siebzig haben können, dachte Barry.
Johnny machte noch eine Bemerkung zu dem Mann, und dieser wandte sich Barry zu, diesmal mit einem Lächeln und ausgestreckter Hand. Barry nahm die Hand, spürte den gla t ten, leichten Händedruck des Indianers und sagte, ohne zu wissen, ob er verstanden werden würde: »Es freut mich sehr, hier sein zu können und Sie kennenzulernen –« Er sah Joh n ny an.
»Ach ja, entschuldigen Sie. Das ist mein – äh – Onkel mütterlicherseits, Albert Chee. Und das ist Barry Golden«, sagte Johnny auf Barry weisend.
Es folgte wieder ein kurzer Wortwechsel, und Johnny schüttelte lächelnd den Kopf. Er redete eine ganze Weile auf Albert ein, dann wandte er sich Barry zu.
»Albert dachte, Sie wären vielleicht von der Behörde, einer von Colliers Leuten, und er wollte Sie eben höflich bitten, sich schleunigst aus dem Staub zu machen. Aber ich hab ’ ihm erklärt, was Sie hier tun, und daß das mit dem Beauftragten für die Angelegenheiten der Indianer oder auch mit dem Stammesrat nicht das geringste zu tun hat.«
»Wieso? Worum geht ’ s denn eigentlich?« erkundigte sich Barry und setzte sich wieder.
»Wissen Sie etwas über die Tierschlachtungen in den letzten Jahren?«
»Nein, die Version der Indianer kenne ich nicht.«
»Vor ein paar Jahren fand die Regierung der Vereinigten Staaten, unsere Leute machten das Weideland kaputt, da sie zu viele Schafe und Ziegen hätten. Man setzte also den Stammesrat gehörig unter Druck, bis dieser Haufen von Nieten, die sowieso den Weißen hörig sind, bestimmte, daß alle Herden um zehn Prozent beschnitten werden müßten. Die großen, reichen Viehbesitzer, die ein Leben führen wie die Weißen und Beziehungen nach oben haben, verloren überhaupt keine Tiere, während die kleinen Leute, wie meine Verwandten hier, wesentlich mehr als ihren gerec h ten Anteil verloren.«
»Wie meinen Sie das, beschnitten?« fragte Barry. »Ich dachte, man hätte die Anzahl der Tiere, die jeder einzelne halten kann, beschränkt, und den Rest aufgekauft.«
»Aufgekauft, ja, zu zwanzig Prozent vom Marktpreis«, versetzte Johnny.
Er beugte sich zu Albert hinüber, der sich jetzt ebenfalls gesetzt hatte und mit verwirrter Miene
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