Werwelt 03 - Der Nachkomme
schlafenden Schafe, der Überrest von Schinken, selbst der Wolle in den Säcken und der träumenden Hunde draußen vor der Hütte, haben eine neue Bedeutung. Es ist, als wäre ich soeben aus einem la n gen Winterschlaf erwacht, und während ich die Decke a b werfe und zur Tür husche, frage ich mich, ob das wahr sein kann. Habe ich geschlafen? Mühelos beruhige ich die Hu n de und wandere vorsichtig zum Bach hinunter, nur um e r schreckt zur Seite zu springen, als eine Eule in der Finste r nis vorbeiflattert. Ich bin angespannt, nervös wie ein K a ninchen, und doch auch unerklärlich und ekstatisch glüc k lich an diesem Ort.
Ich rieche das Wasser und schmeckte sein Aroma, das die Würze von Fels und Sand und Weidenwurzeln enthält, trinke den reinen Geschmack dieses Orts in mich hinein. Plötzlich schieße ich los, galoppiere hinunter zu der Bi e gung im Canyon, laufe mit einer Lust wie nicht mehr, so scheint es, seit den Tagen meiner frühen Jugend. Hier in dieser dunklen Schlucht, über mir die mondlose Nacht, bin ich wieder ich selbst, endlich wieder ganz ich selbst. Ohne der Spuren zu achten, die ich hinterlasse, hetze ich in gr o ßen Sprüngen über die flachen Sandbänke, tobe im Zic k zack durch das seichte Wasser, daß es hoch au f spritzt, laufe den Canyon hinunter und spüre, daß keine Menschen sind, wo die Wände sich dicht um das Tal schließen und die Finsternis mir allein gehört.
Ein Kaninchen fesselt mich ein, zwei Minuten, doch ich lasse es entkommen, nachdem ich es einmal kurz gepackt und in die Luft geschleudert habe. Es quietscht auf in der Erwartung des Todes, doch ich lache mit keuchendem Atem und laufe weiter, den Canyon hinunter, der mir wie eine vertraute Straße ist.
Auch ein Koyote ist da, und ich werfe ihm einen raschen Gedanken zu, während ich ihm hinterherjage, doch er an t wortet nicht. Er ist offenbar nicht so wie der andere, so n dern nur ein Tier ohne Intelligenz. Auch ihn lasse ich en t wischen, doch nicht, ehe ich ihn so weit gebracht habe, daß er in seiner Angst versucht, eine steile Felswand zu e r klimmen. Das ist so komisch, daß ich mich auf den Rücken werfe und mich lachend hin und her wälze, während ich mit den Beinen strample. Unter einer wispernden Weide lege ich mich nieder, die Nacht auszukosten und wieder zu Atem zu kommen. Alles fühlt sich hier so neu und so a n ders an. In meinem Fell prickelt es, als hätte ein kalter Windhauch mich getroffen, obwohl die Nacht warm ist. Ich fühle, daß jemand mich beobachtet, mich nicht aus den Augen läßt, und ich liege ganz still, während ich meinen Raumsinn nach allen Seiten ausschicke. Es ist nichts da, nur die starren Felswände zu beiden Seiten, die an dieser Stelle nicht mehr als hundert Meter auseinander sind. Ich erspüre die kleinen Tiere der Wüste, sonst nichts. Das Pr i ckeln bleibt, nicht unangenehm, doch einer Warnung äh n lich, die ich nicht deuten kann. Eine ganze Weile liege ich unter dem Baum und lausche. Die Tiere in meiner Nähe nehmen ihre nächtliche Jagd wieder auf, als ich meinen Atem dämpfe, um besser hören zu können. Keine Baume s länge von mir entfernt macht eine Maus sich daran, ihren Bau zu vergrößern, und ich erspüre eine Tarantel, die i r gend etwas hinterherjagt, ein dunkler, behaarter Schatten, der in den Felsen auftaucht und wieder verschwindet. Ein Vogel über meinem Kopf zwitschert im Schlaf. Es muß meine innere Erregung sein, die mich so unruhig macht. Ich entspanne und erhebe mich, um das Tal hinunterz u wandern. Ein ganzes Stück weiter, dort, wo das Tal sich wieder verbreitert, fühle ich, während ich im dichten Scha t ten der Felswand en t langstreife, wie sich eine Spannung in meinem Körper au f baut. Sie rührt nicht von bestimmten Wahrnehmungen meines Raumsinns oder meines Gehörs her, nicht einmal von irgendeinem Gefühl, doch sie macht mich unsicher. Ich halte an und taste mich wie zuvor durch das Dunkel. Diesmal jedoch ist es ein anderes Gefühl, ein Gefühl von Gefahr. Das Leben um mich herum enthält ke i nerlei G e fahr, es scheint vielmehr so, als läge der Keim, die Möglichkeit einer Gefahr in der Luft, vielleicht nicht ei n mal etwas Greifbares. Schritt um Schritt gehe ich vorwärts, während dieses vage Gefühl immer stärker wird, bis ich schließlich anhalten muß, um festzustellen zu versuchen, worum es sich handelt. Mein Fell hat sich aufgestellt, die Nackenhaare sträuben sich mir vor Furcht, und ich spüre ein Beben in meinen Beinen. Meine Sinne
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