Werwelt 03 - Der Nachkomme
sagte etwas und deutete dabei auf eine hohe Sandstellenspitze, die sich weiter oben im Tal beinahe in der Mitte des Bachbetts erhob.
»Er erzählt von der Spinnenfrau, die da oben auf der Spitze des Felsens wohnt«, bemerkte Johnny. »Sie hat u n ser Volk das Weben von Teppichen und Decken gelehrt, und jetzt hockt sie ganz allein da oben im gespaltenen Fels. Als ich klein war, das weiß ich noch, hat mir der alte F i schermann immer mit Geschichten von ihr Angst gemacht. Er sagte, sie käme nachts von ihrem Turm herunter, und holte sich unvorsichtige Kinder, die nach Einbruch der Dunkelheit noch draußen herumwanderten.«
Barry hockte sich auf einem Stein nieder, während A l bert und Johnny zu den Pferden hinüberschlenderten, die auf dem Grasland auf der Westseite des Canyons angep f lockt waren. Er wollte sie allein lassen, damit sie sich u n gestört unterhalten konnten, und er selbst wollte auch ein paar Minuten für sich haben, um das, was er an diesem Tag gesehen und gehört hatte, zu sichten. Er hatte sich ein paar Notizen gemacht, doch in erster Linie ging es ihm darum, die Atmosphäre aufzunehmen, um sich darüber klar zu werden, vor was für einen Hintergrund er seinen Artikel stellen wollte. Über die Native American Church, die doch vorgeblich der Grund seines Hierseins war, hatte er bis jetzt noch nichts gehört.
Er lehnte sich an den Stein und blickte hinauf zu den scharfen schwarzen Kanten der überhängenden Felswände. Die Sterne leuchteten strahlend. Sie schienen über den Rand der Schlucht hinauszutreten in den leeren Raum und mit b e sonderer Sorge und Helligkeit in diesen Spalt in der Erde herunterzuspähen. Nie zuvor hatte er sie so hell ges e hen; weil er sie nie so fern den Lichtern von Städten und Dörfern b e trachtet hatte. Hier machte die Schwärze des Canyons ihr Licht um so leuchtender. Er fragte sich, wo der Mond sein mochte. Sein Licht würde nur für kurze Zeit in die Schlucht hereinfallen, und in der mondlosen Nacht zeigte sich der tsay-ih wie eine Höhle, deren Dach von funkelnden Sternen durchsetzt war.
Auch die Gerüche nahm er in der dichten Dunkelheit schärfer wahr, die Ausdünstung der Pferde drüben auf der linken Seite, den Geruch des langsam ersterbenden Feuers auf dem das Essen gekocht worden war, den feuchten Duft von Wasser und Sand, den Geruch seines eigenen Körpers, der sich mit dem des Steins mischte, einen unsichtbaren Strom von Gerüchen und Düften, die ein sanfter Wind durch das Tal trug.
Auch sein Gehör schien wacher zu sein. Er konnte die Mädchen und die Frau ganz deutlich hören, obwohl ihre Sprache ihm fremd war. Johnny hatte erzählt, daß die Mä d chen recht gut Englisch sprächen, daß sie jedoch Fremden gegenüber, insbesondere Weißen gegenüber schüchtern waren, er also nicht allzu viel von ihnen erwarten durfte. Sie hatten sehr hübsch »dankeschön« gesagt, als er ihnen die Süßigkeiten aus dem Handelsladen gegeben hatte, doch das war auch alles gewesen. Er hörte die Katze jaulen, und danach einen raschen Wortschwall von der Frau. Ein Pferd schnaubte in der Dunkelheit, ein anderes riß an seinen Fe s seln. Weiter entfernt, jenseits der Sommerhütte, war das leise verschlafene Blöken und Seufzen der Schafe zu h ö ren. Und über allem hing das gedämpfte Murmeln des Bachs und das Wispern der Weidenblätter, die ihre eigene Sprache sprachen.
Als er sich an diesem Abend neben Johnny in der So m merhütte der Chees in seine Decke wickelte, meinte er, sich nie zuvor so wohl gefühlt zu haben. Während er den Ate m zügen der Leute lauschte, die um ihn herum lagen, dachte er an seine Familie in dem großen Haus in Albuquerque, widm e te ihnen ein stummes Gebet, dachte an Renee, so intensiv, daß er ihr Gesicht vor sich sah und ihre Hände auf seinen Schultern fühlte. Und dann schlief er ein.
Ich erwache plötzlich voll gespannter Erregung. Noch ehe ich ganz wach bin, habe ich mich verwandelt, so sehr drängt es mich danach, diesen seltsamen neuen Ort in me i ner eigenen Gestalt zu durchstreifen. Ich nehme alles mit geschärften Sinnen wahr, die an- und abschwellenden Atemgeräusche der schlafenden Menschen in der dunklen Hütte, ihre Schwingungen, die mich umgeben, sich krä u seln und meinem Raumsinn mitteilen, der erfüllt scheint von einer neuen Pracht eigener, dem sichtbaren Spektrum unbekannter Farben. Ich hebe schnüffelnd den Kopf, und alle Gerüche, die Körperausdünstung der Indianer, der G e ruch der Feuerglut, der draußen
Weitere Kostenlose Bücher