Werwolfkind (German Edition)
zurückgebliebene Tochter, die nie über den Stand eines kleinen Kindes hinauskommen wird. Haus und Hof sollten mir weggepfändet werden. Ich hatte kein Geld, um Saatgut zu kaufen – meine landwirtschaftlichen Geräte waren alt und verbraucht. Das meiste davon ist Schrott oder völlig veraltet gewesen. Pietro ist mir keine große Hilfe gewesen. Er ist nicht verkehrt, etwas vorlaut. – Aber die Landwirtschaft liegt ihm nicht. Aus dem wird nie ein Bauer. – Dich konnte ich nicht studieren lassen, obwohl du ausgezeichnete Noten hattest. Wie denn, wovon denn? – Ich habe gesehen, wie du dich auf dem Feld und im Haushalt geplagt hast. Nie hast du dich beklagt, nie hast du mir etwas vorgeworfen. Aber ich wusste, das ist kein Leben für dich, dass du littest. Auch mit dem Sciaso wäre es nicht viel besser geworden. Was ist denn schon so ein kleiner Dorfschullehrer für eine Grundschule? Ein Hungerleider, mehr nicht. – Dann bot sich die Chance, als sich der Marchese für dich interessierte. Ich hörte von anderen, wie er dich angesehen hat – ich wusste, dachte es mir, dass er in dich verliebt ist. Das war die Chance, für uns alle. Das Gerede der Leute, dass er ein Werwolf sei, ignorierte ich. Ich glaubte es nicht, weil ich es nicht glauben wollte. Jetzt sehe ich manches anders. – Gott helfe mir, was habe ich getan?«
Michele Montalba setzte sich auf die Bank. Eine Minute lang vergrub er das Gesicht in den Händen.
Dann schaute er wieder auf und sagte: »Ich habe meine Tochter einem Werwolf zur Frau gegeben. Die Lampedusas sind alle Werwölfe.«
»Dann müsste die ganze Gegend von ihnen ausgerottet sein, Vater.«
Francesca bemühte sich, heiter zu klingen, was ihr schlecht gelang.
»Es ist, wie es ist«, sagte ihr Vater. Und: »Jeder Mensch hat sein Schicksal. Ich wünsche dir nur das Beste, Francesca. Dir und deiner Familie. Aber, ich lebe hier, und du lebst da oben im Schloss. Das sind zwei verschiedene Welten. Was du da oben zu meistern hast, da musst du allein durch, das musst du allein bestehen. Ich kann dir dabei nicht helfen. – Nur eins kann ich dir sagen. Es wird von Wolfsgeheul aus dem Schloss gemunkelt.«
Francesca log: »Davon ist mir nichts bekannt.«
»Die Leute haben Angst. Sie werden aufgehetzt. Bald werden sie sich zusammenrotten, befürchte ich.«
»Was sollen sie denn unternehmen?«
»Weiß ich es? Ich kann dich nur warnen. Sonst ergreife ich keine Partei, sonst wäre mein weiteres Leben in San Clemente unmöglich. Und hinauf ins Schloss kann ich nicht, noch woanders leben. Ich bin hier verwurzelt. Meine Familie lebt schon seit Generationen hier. Wir waren schon da, bevor die Lampedusas das Schloss kauften und hierher zogen.«
»Letzte Nacht hatte ich einen schlimmen Traum«, sagte Michele Montalba. »Ich träumte von Marco, von deinem Sohn. Er war älter als jetzt, sechs oder sieben Jahre – und er hatte ein kindlich-unschuldiges Gesicht, aber ein Wolfsgebiss mit langen Reißzähnen. Von diesen Zähnen, aus seinem Mund troff Blut. Er schaute nach oben, da war ein großer Wolf, ein Werwolf. Der führte ihn bei der Hand und deutete auf etwas, was ich nicht sehen konnte. Es kann nichts Gutes gewesen sein.«
»Träume sind Schäume, Vater.«
»Es gibt auch Wach- und Wahrträume. Warn deinen Mann. Unser Gespräch ist beendet.«
»Selbst wenn er ein Werwolf wäre, er hat dir geholfen, Vater. Ohne ihn wäre Mutter nicht mehr am Leben und hättest du Haus und Hof verloren.«
»Ein Werwolf, ein Werwolf und ein Mörder. Einem Werwolf und einem Mörder kann ich nicht die Stange halten. Nicht auf ihrer Seite sein, ganz gleich, was da war. – Geh jetzt ins Haus zu deiner Mutter, dem Kind und deinen Geschwistern, Francesca. Ich muss noch aufs Feld.«
Es war Nachmittag. Francesca wusste, dass ihr Vater nicht mehr unbedingt auf das Feld musste. Doch er wollte nicht weiter mit ihr sprechen und auch seinen Enkel nicht sehen. Er verzog sich. Ehe sie ins Haus ging, dachte Francesca, dass ihr Vater es sich sehr einfach machen würde. Er sagt sich einfach los und hielt sich aus allem heraus.
Doch dann überlegte sie sich, dass er nicht anders handeln konnte. Sie ging in das kleine Haus. Nachdem sie seit fast zwei Jahren im Schloss wohnte, erschien ihr hier alles sehr eng und klein. Sie konnte sich kaum noch vorstellen, dass sie die ersten neunzehn Jahre ihres Lebens in diesem kleinen alten Häuschen verbracht hatte.
Jetzt war es renoviert und hübsch hergerichtet. Ihr Vater hatte sogar einen
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