Werwolfkind (German Edition)
Nächten vorm Vollmond schliefen sie nicht mehr miteinander, was sonst immer der Fall gewesen war. Francesca spürte, wie Ricardo immer unruhiger wurde.
Es plagte ihn etwas, es ging mit ihm um. Er verbarg ein Geheimnis vor seiner Frau, es bedrückte ihn. Doch er konnte es ihr nicht sagen.
Dann, in der ersten kritischen Nacht, ging er mit Francesca in die Gewölbe der Burg. Dort schauten sie sich im Fackellicht Benito und Beatrice an. Diesmal hatte Benito seine menschliche Gestalt. Beatrice nicht. Er war groß und hager, eine satanische Bosheit zeichnete sein Gesicht mit den grauen Bartstoppeln und den eingefallenen Wangen. Auch in seiner menschlichen Gestalt hatte er etwas Menschliches an sich.
Er trug zerlumpte Kleider. In dem Verlies stank es. Elektrisches Licht gab es hier unten nicht. Ricardo hätte seinem Halbbruder und dessen Gefährtin saubere Kleidung ermöglicht. Auch hätten sie das Verlies reinigen können. Doch sie wollten es nicht. Es stank wie in einer Wolfshöhle, und das mochten sie so.
Beatrices Bauch war gewölbt, man sah es ihr an, dass sie trächtig war. Ihre Zitzen waren ausgeprägter als zuvor. Ihre gelblichen Wolfslichter funkelten die beiden Besucher an. Sie knurrte tief und grollend. Der Feuerschein von den beiden Pechfackeln zuckte gelb und rot über die Wand.
Er ließ die Schatten der drei Menschengestalten und den der Wölfin verzerrt übergroß an den Wänden und am Boden tanzen. Benito grinste satanisch.
»Jetzt bist du wieder fällig, Brüderchen. Der Wolfsmond ist da. Heute Nacht wirst du dich verwandeln, genau wie dein Söhnchen. Wirst du sie dann zerreißen, dein Liebchen, die da, die dir den Nachwuchs gebar? Auch ich werde bald Vater.«
Seine Stimme war rau.
»Woher weißt du, dass wir ein Kind haben, Benito?«, fragte Francesca.
»Der Werwolf hat scharfe Sinne und ein scharfes Gehör. Ich wittere viel, was im Schloss vorgeht. Und ich höre manches selbst durch die dicken Mauern. – Warum lasst ihr uns denn nicht frei?« Abrupt wechselte er das Thema. »Wir würden weit, weit fort gehen, und ihr würdet uns niemals wiedersehen. Dann bräuchtet ihr uns nicht mehr einzusperren, zu bewachen und zu verpflegen. Und mit der latenten Gefahr leben, dass wir doch noch einmal ausbrechen könnten.«
»Das werdet ihr niemals, nie. Ihr werdet nie wieder frei sein.«
Benito wiegte den Kopf hin und her. Seine Augen glühten und funkelten.
»Vielleicht überlegst du es dir ja mal anders, wenn du selber ein wilder Werwolf geworden bist, Brüderchen. Dann wirst du mich besser verstehen. Ich spüre es mit aller Inbrunst und mit all meinen Sinnen, ich riech es, wittere es an dir, das der Werwolfkeim in dir ausbricht. Mit einer Gewalt, die du nicht mehr bändigen kannst. Du hast umsonst gehofft und geharrt, dein Lebtag lang die Diät gefressen, dich zurückgehalten und den Braven gespielt, wie unser närrischer Vater es wollte. Es ist alles umsonst gewesen. – Ich sage dir, du wirst schlimmer als ich.«
»Sag was du willst, Benito. Dein Geifer kann mich nicht beschmutzen. Es wird nicht so sein.«
»Das werden wir sehen, Brüderchen, das sehen wir dann. – Du da, Marchesa, genieß deine letzten Stunden. Bald zerreißt er dich. Und dein Junges, den Marco, den zieht er mit mir zusammen als einen Werwolf groß. Wir werden ein feines Rudel sein, die Wälder durchstreifen, in den Bergen jagen, im Licht des Vollmonds uns baden. Selbst die Städte werden wir heimsuchen und ein Gräuel und Schrecken sein. Beatrice bekommt Junge, sechs kleine Wölfchen. Ich wittere diese Ungeborenen, ich spüre sie, ich nehme schon ihre unreifen Instinkte und ihr rudimentäres Denken wahr. Es wird immer mehr Werwölfe geben.«
Francesca schauderte es vor so viel Bosheit. Sie wollte es sich nicht anmerken lassen.
»Du abscheuliches Wesen«, sagte sie. »Du böse, verkommene Kreatur. Früher hast du mir manchmal Leid getan, dass du hier eingekerkert bist. Jetzt nicht mehr. Auch du hattest die Wahl. Deine Eltern gaben sie dir. Du hättest denselben Weg einschlagen können wie Ricardo.«
»Sein Weg ist noch nicht zu Ende, Liebchen. Er geht jetzt erst richtig los.«
Benito rüttelte mit solcher Kraft an den Gitterstäben, dass Francesca fürchtete, er würde sie verbiegen. Doch das geschah nicht. Ricardo wendete sich wortlos von seinem Bruder und von der trächtigen Wölfin ab, die wieder knurrte.
Francesca mit ihrer Fackel folgte ihm. Als sie in den Bereich kamen, wo wieder elektrisches Licht brannte, fragte sie
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