Wes - Wächter der Nacht
habe mir nur eine kleine Beule geholt.“
„Lass gut sein! Du kriegst mich nicht rum. Ich bin in …“ Ein Blick auf die Uhr. „In achtundzwanzig Minuten bin ich zurück.“
Brittany lachte. „Achtundzwanzig? Genau achtundzwanzig Minuten? Ich hatte keine Ahnung, dass ich es mit Mr Spock zu tun habe.“
„Sehr witzig! Ich weiß, wie lange ich von hier bis nachHause brauche: dreizehn Minuten. Ein paar Minuten, um in die Wohnung zu gehen und die Wagenschlüssel zu holen …“ Er öffnete ihr die Tür des Eiscafés. „Vorsicht, Stufe! Nicht noch mal stolpern.“
„Ich bin auf der Treppe nicht gestolpert. Ich wurde geschubst. Ziemlich heftig.“
Großer Gott. Vermutlich von einem ein Meter achtzig großen Feigling, der es eilig hatte, sich in Sicherheit zu bringen. „Verdammt.“ Er drehte sich um in die Richtung, aus der sie gekommen waren, aber sie zog ihn kurzerhand ins Eiscafé hinein.
„Wer das auch immer gewesen sein mag, er ist jetzt ganz sicher nicht mehr da. Du wirst deine Rachegelüste an einem Schokoladeneis auslassen müssen.“
„Ich ziehe Vanilleeis vor, aber im Moment muss ich verzichten. Eine Eiswaffel auf dem Motorrad – das funktioniert nicht.“ Er legte einen Fünfdollarschein auf die Theke und gab ihr einen raschen Kuss. „Bin bald wieder da.“
Brittany saß draußen in der warmen Nachmittagssonne, aß ihr Eis und beobachtete die Leute, die über den Bürgersteig strömten.
Ihr Knöchel schmerzte, ebenso die Beule an ihrem Kopf, aber ansonsten ging es ihr bestens.
Sie seufzte. Sie hatte sich darauf gefreut, hinter Wes auf dem Motorrad, die Arme um ihn geschlungen, nach Hause zu fahren. Sie hatte sich auch darauf gefreut, noch mal mit ihm zu tanzen.
Jetzt würde er sie die ganze Nacht beobachten.
Na schön. Eigentlich gar nicht schlecht. Er konnte sie ruhig beobachten. Sie würde schon dafür sorgen, dass es sich auch lohnte.
In Gedanken versunken, hatte sie nicht auf ihre Eiswaffel geachtet, und geschmolzenes Eis drohte ihr auf die Hand zu tropfen. Hastig leckte sie dagegen an. Als sie wieder aufschaute, entdeckte sie einen Mann am Straßenrand, der sie beobachtete.
Auf den ersten Blick sah er ganz passabel aus. Glatze, aber ein fein geschnittenes Gesicht.
Doch dann schlurfte er näher, und sie sah seine Augen.
Brittany hatte lange genug in Notaufnahmen an der Ost- und Westküste gearbeitet, um geistige Verwirrung auf den ersten Blick zu erkennen – und bei diesem Typen läuteten in ihr sämtliche Alarmglocken. Dabei war er ansprechend und völlig normal gekleidet; er trug keine wild zusammengewürfelten Streifen und Karos, keinen Superheldenumhang und keinen Helm, um Angriffe durch Killerbienen abzuwehren.
Der Mann hielt Autoschlüssel in der Hand.
Ihrem Blick wich er aus, aber er sprach sie an. „Sie haben sie zum Weinen gebracht.“
Es war irgendwie bemerkenswert. Immer kamen sie zu ihr. Sie schien diese Typen regelrecht anzuziehen. In ihrer Schicht arbeiteten sieben Pfleger, und an wen hielten sich die psychisch Kranken? Natürlich an Brittany.
Andy behauptete, das liege daran, dass sie mit ihnen redete wie mit richtigen Menschen.
Brittany hatte darüber gelacht. „Aber es sind richtige Menschen.“
„Eben.“
Sie sah den seltsamen Mann an und bemühte sich, ruhig und gelassen zu reagieren. Sie wollte nicht, dass er näher kam und sich womöglich zu ihr setzte. Ignorieren wollte sie ihn aber auch nicht. Bei näherem Hinsehen sah er auswie jemand, der vergessen hatte, seine Medikamente zu nehmen. „Entschuldigen Sie – kennen wir uns?“
„Sie haben sie zum Weinen gebracht“, wiederholte er. Sowohl der Tonfall als auch der Ausdruck seiner Augen erschreckte Brittany. Sie stand auf und wich zurück.
Okay, jeden Moment musste Wes wieder hier sein. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Noch mindestens zehn Minuten.
„Es tut mir leid“, sagte sie, „aber ich weiß wirklich nicht, wovon Sie reden.“
„Sie haben sie zum Weinen gebracht. Ihr Herz ist gebrochen.“
„Das tut mir leid.“
„Nein, tut es nicht.“
Der Mann schlurfte langsam näher, und Brittany zog sich weiter zurück. Im selben Moment kam einer der Angestellten aus dem Eiscafé – ein junger Mann, der die Tische abwischen wollte.
„Gibt es drinnen ein Münztelefon?“, fragte sie ihn.
„Nein, leider nicht. Das nächste finden Sie weiter unten in der Straße, im Kelley’s.“
„Danke.“ Brittany schaute in die Richtung, die der Junge ihr wies, und entdeckte das grüne
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