Wesen der Nacht
Drizzle«, sagte er, als wir die Haustür erreichten. »O hne dich hätten wir vermutlich noch ewig draußen gestanden.«
»W enn ihr keinen dämlicheren Ort zum Knutschen finden könnt als den strömenden Regen, ist das nun wirklich nicht mein Problem.« Drizzle verzog das Gesicht, als wäre die bloße Vorstellung schon ekelhaft. »I ch will nur, dass ihr diese verdammte Tür zumacht. Es zieht wie Hechtsuppe und ich kriege das dreimal verfluchte Ding einfach nicht zu.«
Kaum hatten wir die Haustür hinter uns geschlossen– sie war von der Feuchtigkeit leicht verzogen und ließ sich tatsächlich nur mit ein wenig Widerstand schließen– stapfte der Kobold in Richtung Arbeitszimmer davon. Vermutlich, um sich eine Zigarre anzuzünden, was ich ihm im Rest des Hauses verboten hatte.
Cale und ich streiften unsere Schuhe noch im Windfang ab und gingen in die Küche. Eigentlich wollte ich unbedingt eine Tasse heißen Tee oder Kaffee, doch die kleinen Pfützen aus Regenwasser, die sich unter unseren Füßen auf dem Fliesenboden bildeten, hielten mich davon ab. Mein Blick wanderte zu Cale. Regenwasser tropfte ihm von den Haarspitzen auf sein Gesicht. Jeder andere hätte wie ein begossener Pudel ausgesehen– ihm verlieh es etwas Verwegenes. Aber ganz gleich wie er aussah, auch ihm musste kalt sein.
»L ass uns nach oben gehen und was Trockenes anziehen, ich gebe dir ein paar Klamotten von Trick.«
Oben angekommen, drückte ich ihm ein Handtuch in die Hand und schob ihn ins Bad, während ich mich in Tricks Zimmer auf die Suche nach sauberen Sachen machte. Ich fand eine Trainingshose und einen Kapuzenpullover und brachte sie zu Cale, bevor ich, mit einem Handtuch bewaffnet, in meinem Zimmer verschwand, um mich ebenfalls umzuziehen.
Ein paar Minuten später kehrte ich mit den nassen Klamotten unter dem Arm zum Bad zurück. Nur mit Tricks Trainingshose bekleidet, stand Cale vor dem Spiegel und rubbelte sich die Haare trocken. Fasziniert blieb ich stehen, beobachtete das Spiel seiner Muskeln, die sich unmittelbar unter der Haut abzeichneten, und fragte mich, ob er in seiner wahren Gestalt ähnlich gut gebaut sein mochte. Als er mich bemerkte, drehte er sich zu mir herum, ein verführerisches Lächeln auf den Lippen, das mich zu ihm zog. Mein Blick glitt über seine Züge, seinen Oberkörper hinab und blieb an seiner Brust hängen, wo– halb in sein Brustbein eingelassen– ein faustgroßer Stein zu sehen war, der von einem roten, pulsierenden Schein erfüllt war. Der Stein sah aus wie der Splitter, den ich in Dads Geheimfach gefunden hatte, nur um ein Vielfaches größer und ungleich lebendiger.
»I st das…« Vorsichtig streckte ich die Hand aus, um den Stein zu berühren. Ich wollte wissen, wie er sich anfühlte und ob ich das Leben darin spüren würde, das das Pulsieren verhieß. Im letzten Moment jedoch zog ich meine Hand zurück. Halb aus Angst, es könne eine zu intime Berührung sein, und halb aus Sorge, ihm damit Schmerzen zu bereiten.
Cale nahm meine Hand, führte sie langsam wieder an seine Brust heran, bis meine Handfläche auf seinem Herzstein ruhte. Es war ein unglaubliches Gefühl. Als hielte ich sein Leben in Händen. Und sein Herz.
»W ow«, flüsterte ich und ließ meine Fingerspitzen andächtig über den Stein gleiten. Cale zuckte leicht zusammen und ich wollte meine Hand erschrocken zurückziehen, doch er hielt sie fest. »I ch will dir nicht wehtun.«
»D as tust du nicht«, sagte er leise. »E s fühlt sich angenehm an.«
Jetzt zog ich die Hand doch zurück. Mir wurde ganz heiß, vermutlich lief ich gerade rot an. Als Cale mein Gesicht sah, lächelte er. »N icht so, wie du jetzt vielleicht denkst.«
Oh mein Gott, wie peinlich! Waren mir meine Gedanken so leicht anzusehen?
Er gab meine Hand frei, umfing mich mit den Armen und ließ seine Hände über meinen Rücken wandern. »S pürst du das?«
Als ich ein »J a« murmelte, sagte er: »G enauso fühlte es sich an, wenn du meinen Herzstein berührst.«
Okay, das war harmlos. Damit konnte ich leben. Noch einmal strichen seine Finger über meinen Rücken, dann zog er mich an seine Brust und hielt mich fest an sich gedrückt. »I ch wünschte, diese Nacht würde niemals enden.«
Nach einer Weile nahm er mich bei der Hand und führte mich in mein Zimmer. Er zog mich mit sich aufs Bett und in seine Arme. Es war seltsam, wie sich die Dinge veränderten. Noch vor ein paar Tagen, als er in Form einer stofflosen Astralprojektion auf eben diesem Bett
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