Wesen der Nacht
Warum kannst du das überhaupt?«
»V or langer Zeit gab es in meiner Ahnenreihe eine Verbindung zwischen einem Gestalt- und einem Geistwandler«, erklärte er. »D ie Nachfahren der beiden waren Geistwandler mit all ihren Fähigkeiten, doch hin und wieder wird jemand geboren, der seine Gestalt verändern kann. Ich bin so einer.«
»D as muss ziemlich cool sein.«
»E igentlich nicht.« Der Schatten einer finsteren Erinnerung glitt über sein Gesicht. »E s macht mich zum Außenseiter, einem, der anders ist und nie wirklich dazugehört hat.«
»D as tut mir leid.«
Er zuckte die Schultern. »W äre es anders, wäre ich jetzt nicht hier. Bei dir.«
»U nd müsstest dich nicht von irgendwelchen Typen angreifen lassen. Was glaubst, du, was die wollten?« Der Kerl, der mir aus dem Supermarkt hierher gefolgt war, war nicht bei ihnen gewesen. Dass er sich mir nicht mehr nähern konnte, bedeutete allerdings nicht, dass mögliche Komplizen es ebenfalls nicht konnten. Ich wusste nicht, für wen er arbeitete, aber die Hüter der alten Welt waren die Einzigen, die einen Grund haben könnten, hier einzudringen. Zumindest die Einzigen, die mir einfielen. »H ast du eine tätowierte Weltkugel an ihren Handgelenken gesehen?«
Cale schüttelte den Kopf. »N ein, nichts dergleichen. Allerdings«, er kniff die Augen zusammen und dachte nach, »h abe ich Magie gespürt. Eine Menge davon. Ich glaube, sie waren nicht hinter dir her.«
»N ein?«
»S ie trugen die Magie in Amulette und Ringe gebunden. Sie hat sie geschützt«, sagte er. »F ür gewöhnlich gibt es nur eine Kategorie, die Magie auf diese Weise nutzt: Artefaktjäger.«
Unwillkürlich glitt meine Hand zu seinem Herzstein.
32
Am nächsten Morgen erwachte ich in Cales Armen.
Irgendwann, nachdem wir noch eine Weile über die Artefaktjäger spekuliert und ich mich eine Million Mal für meinen Ausbruch entschuldigt und er mir mindestens genauso oft versichert hatte, dass er es mir nicht übelnahm– was er mit unzähligen Küssen unterstrichen hatte–, war ich eingeschlafen.
Trotz aller Schrecken des gestrigen Tages war ich glücklich. Mir war bewusst, dass dieser Zustand nicht von Dauer sein konnte, doch Cale hatte mich davon überzeugt, dass wir die gemeinsame Zeit genießen sollten, die uns noch blieb, anstatt sie uns durch die bevorstehende Trennung verderben zu lassen. Ich tat mein Bestes, nicht daran zu denken.
Nach einem kurzen Abstecher ins Bad und einer Menge weiterer Küsse gingen wir in die Küche, um zu frühstücken. Ein kühler Windhauch fuhr durch das zerbrochene Fenster in den Raum und ließ mich in meinem Trägertop frösteln. Drizzle lag schnarchend auf dem Kaminsims, die Arme um ein leeres Schnapsglas geschlungen.
»S ieht so aus, als hätte er gestern noch unseren Sieg gefeiert«, grinste Cale.
Ich nahm den Kobold, trug ihn in Dads Schlafzimmer und verfrachtete ihn ins Bett, damit Cale und ich noch eine Weile ungestört sein konnten. Als ich in die Küche zurückkehrte, hatte Cale bereits den Tisch gedeckt und zwei Scheiben Toast in den Toaster geworfen. Ich setzte Kaffee auf und ein paar Minuten später saßen wir mit dampfenden Tassen vor unseren Tellern und ich beobachtete grinsend, wie Cale sich über Toast und Cheddar hermachte und kurz darauf dazu überging, mich mit Marmeladentoast zu füttern und mir die süßen Spuren vom Mund zu küssen.
»W as hat der denn hier zu suchen?«
Derek stand so plötzlich hinter uns auf der Schwelle, dass ich vor Schreck fast meine Tasse fallen gelassen hätte. Schnell stellte ich sie ab und stand auf. »D erek«, sagte ich und zwang mich zu einem Lächeln. »D afür gibt es einen guten Grund. Lass es mich erklären!«
»E rklären? So wie du mir gestern erklärt hast, dass du dich an meine Regeln halten würdest?« Er war wütend, doch sobald sich seine Aufmerksamkeit auf mich richtete, glätteten sich seine Züge ein wenig. »G eh aus dem Weg!«
»D erek, nein!«
Lass ihn, Prinzessin, erklang Cales Stimme in meinem Geist. Er wird sich deine Erklärungen nicht anhören, solange ich frei bin.
Aber er wird dich einsperren!
Das Schulterzucken war seiner Stimme geradezu anzuhören, als er sagte: Und du lässt mich später wieder raus.
Ich machte einen Schritt zur Seite. Sofort war Derek an mir vorbei. Er packte Cale beim Arm und schob ihn auf die Kellertür zu. Ich folgte ihnen mit ein paar Schritten Abstand, mehrmals versucht, zu einer Erklärung anzusetzen. Aber Cale hatte recht: Solange er frei
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